Der Kristallraum

Dieser Klassenraum liegt an der Ostseite der Schule.

Er wird meist zum unterrichten von allgemeineren Fächern benutzt.

Seinen Namen besitzt dieser Klassenraum, da man in ihm regelmäßig Zeuge eines
interessanten Ereignisses wird.
Die Lichtstrahlen, die in den Raum fallen, werden durch das Fenster,
das aus besonders zusammengesetztem Feenglas besteht, so gestreut,
als würde man das Licht durch einen Kristall werfen.

Es entsteht ein kleines Lichtspektakel, dass jedoch nicht zu stark ist,
sodass es die Schüler stören könnte.

Letzendlich hatte es sich herausgestellt, dass
Rinoa, Ben und Liam tatsächlich in dieselbe Klasse gingen.

Rinoa gefiel es nicht wirklich, dass sie Ben nun jeden einzelnen
Tag sehen musste.
Er nervte sie mit seiner unfreundlichen Art schon seit sie diese Schule
betreten hatte.
Wie sie das nur aushalten sollte...

Lenta saß ebenfalls schon in dem Klassenraum.
Sie hatte sich einen Platz am Fenster genommen und beobachtete halb
fasziniert, halb abwesend den Raum und die eintretenden Schüler.

Einige kannte sie, da sie mit ihr auf eine Schule gegangen waren, viele
jedoch waren ihr fremd.
Doch ihre beste Freundin war nicht gekommen.
Lenta sah besorgt zu der Tür.

Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das alles nur Einbildung
gewesen war.
Dass sie Opfer eines schrecklichen Traums geworden war und dabei
geschlafwandelt ist.

Doch mit jedem eintretenden Schüler schwand ihre Hoffnung.

Schließlich trat auch Calina ein.
Man sah ihr nicht im Geringsten an, dass sie
eine schreckliche Nacht erlebt hatte.
Beziehungsweise, sie war so perfekt wie immer und Lenta
hatte, wie gesagt, nur geträumt.

Calina sah sich kurz um.
Schließlich traf stechendes Grün auf mattes Blau.

Lenta runzelte die Stirn, spannte sich aber kurz genauso an wie
Calina es kaum sichtbar tat.
Der Blick ihrer Erzfeindin war genauso kalt und und herablassend wie immer,
aber da war etwas in ihren Augen, dass Lenta irritierte.
Sie wusste, dass es mit ihr und dem Anwesen zu tun hatte,
aber sie konnte einfach nicht erraten, was es ihr sagte.

Calina unterbach den Augenkontakt jedoch so schnell, dass Lenta auch nichtmal
in die Nähe einer Lösung kommen konnte.

Doch die Lösung kam sogleich durch die Tür, in Form von Rekia.

Lentas Augen weiteten sich überrascht, doch konnte sie ein Stutzen geradenoch so
aufhalten.
Es war ungmöglich, dass Rekia wieder normal war!
Sie hatte doch noch vor einigen Stunden versucht, sie und Calina umzubringen und
war zu einem Monster geworden.
Lenta verstand die Welt nichtmehr.

Zu allem Überfluss folgten dann auch noch zwei andere von Rekias Truppe,
die ebenfalls eigentlich hätten tot sein müssen.

Lenta sank ein klein bisschen in ihrem Stuhl zusammen, während
die Gruppe sich an die Tischreihe setzte, die rechtwinklig zu Lentas Platz
stand und die erste Reihe bildete.

Derdekia und Námo traten nun in den Raum ein.

Ben hob den Blick, als sie eintraten, und musterte sie kurz.

Ach, Derdekia und Námo..., stellte er dann fest. Keine
Neuen also.

Dann ging er wieder dazu über, Rinoa demonstrativ zu ignorieren.

Rinoa ignorierte ihn ebenfalls demonstrativ.

Sie musterte die beiden Neuankömmlinge jedoch interessiert.

Sie hatten eine seltsame Ausstrahlung.

Námo suchte sich einen Platz weiter hinten im Raum.
Weniger Leute, die ihn dabei beobachten konnten, wie
er etwas anstellte!
Immerhin konnte er sich doch nicht sein Image verderben.

Derdekia ließ ihm seinen Freiraum und setzte sich an die Fensterseite des
Zimmers, einige Plätze weiter entfernt von Lenta, hin.

Ben gab sich weiterhin größte Mühe, Rinoa nicht zu beachten.

Zwischendurch sah er allerdings einige Male kurz in ihre Richtung - wer wusste
schon, ob sie etwas anstellen würde?

Rinoa spielte bloß mit einem Stift, den sie mitgenommen
hatte und beobachtete aufmerksam ihre
Mitschüler.

Manchmal fing sie Bens Blick jedoch auf, schnitt ihm eine
freche Grimasse und blickte wieder nach vorne, als wäre nichts
gewesen.

Námo beobachtete einige dieser Austausche, bis er das breite Grinsen
kaum noch zurückhalten konnte.

Als beide gerade wegsahen, schob er mit einem unauffälligen kleinen
Stoß den Stift aus Rinoas Hand und schob ihn mit Hilfe der Luft unter
Bens Tisch.

Rinoa sah verwirrt in die Richtung, in die
der Stift geflogen war.

>> Was zum... <<

Sie seufzte.

>> Liam, siehst du meinen Stift? <<
fragte sie ihren Sitznachbar.

Liam sah sich um und beugte sich runter.
>> Nein, also ich sehe ihn nicht.
Bist du sicher, dass er in diese Richtung geflogen ist? <<

>> Ja, ich bin mir ziemlich sicher. <<

Sie dachte kurz nach über die Möglichkeiten, die sie hatte und seufzte.
Es blieb nurnoch eine, wenn sie ihren Stift haben wollte.

Und sie mochte diesen Stift sehr. Er war ein Geschenk gewesen.

Also beugte sie sich runter und krabbelte unter den Tisch.
Erst sah sie nur die Dunkelheit, da der Kristallraum mit seinen Lichteffekten eine
größere Anpassung benötigte, dann erblickte sie ihren Stift und krabbelte
entschlossen auf ihn zu.

Liam machte ihr höflich Platz.
Er musste sogar zugeben, dass er es ganz... interessant fand, wenn ein Mädchen vor
ihm unter dem Tisch urmkrabbelte.
Welcher normal denkende Junge würde es nicht mögen?


Rinoa kam bei ihrem Stift an und nahm ihn erleichtert in die Hand.
Das Problem war, dass sie keine Lust hatte, rückwärts zu krabbeln.
Also suchte sie den besten Ausweg und landete direkt vor Bens Schoß.

Bei einem Blick nach oben stellte sie fest, dass es tatsächlich ihr "Erzfeind" war.

>> Nein...
bloß nicht... <<

Ben blickte nach unten, um herauszufinden, was da war, und sprang, mit
Stuhl, erst einmal einen halben Meter nach hinten.

"Was machst du da?!", fragte er und konnte sich gerade noch davon
abhalten, im Klassenraum auf sie loszugehen.

>> Meinen Stift holen, du Dummkopf. <<
schimpfte Riona zurück und setzte sich
ohne ein weiteres Wort auf ihren Platz.

Ben schnaubte verächtlich.
Was war das denn für ein Auftritt gewesen?



Námo hingegen war der Meinung, dass er so etwas öfter machen sollte.
Es war irgendwie lustig.

Rinoa sah ihn feindselig an.

Er war so ein Kindskopf.

Was auch immer er sich da ausgedacht hatte in seinem
Karottenschädel.
Es war falsch und dumm.

Ben warf mit einer Papierkugel nach Rinoa.
Rein aus Prinzip, das Ignorieren klappte nicht ganz.

Námo steuerte sie mit einer sanften Brise so, dass
sie genau gegen Rinoas Kopf traf.

Rinoa sah sofort zu Ben.
Ihr Blick war alles andere als erfreut.


Bens Stifte wurden plötzlich selbstständig und flogen vom
Tisch.

Ben warf ihr einen bösen, bösen Blick zu und machte sich wortlos daran,
sie wieder aufzusammeln.

Oh, wie sehr er Riona hasste...!

Rinoa lächelte äußerst zufrieden.

Das hatte der kindische Karottenkopf mit seinen
dummen Papierkügelchen verdient.

Er sollte besser aufpassen, dass er ihre Geduld nicht überstrapazierte.

Sie war durch die Probleme mit ihrer Hexengilde sowieso schon gereizt
und am Ende ihrer Nerven.

Ben war sich ziemlich sicher, dass es gegen die Schulregeln verstieß, eine
Person zweimal innerhalb von 24 Stunden zu verprügeln. Das war allerdings
auch das einzige, was ihn zurückhielt.

Wieso musste diese arrogante Zicke unbedingt auf diese Schule, und noch
viel wichtiger, in seine Klasse kommen?

Das Schicksal spielte anscheinend nicht auf Bens Wellenlinie.
Und auch nicht auf Rinoas.

Denn diese überlegte hin und her, ob man sie wohl
der Schule verwiese, wenn sie ihn verkrüppeln würde.

Bei einem Mord wäre sie sofort draußen.
Aber...
wenn sie es als Versehen tarnen würde?

Liam rutschte zwischen den beiden tiefer in den Sitz.
Diese Atmosphäre war mehr als bedrückend.

Námo war schließlich der Meinung, dass schon allein durch die Aura, die die
beiden umgab, schwere Verletzungen entstehen konnten. Die Stimmung
musste dringend aufgelockert werden!
Nun, aufgelockert oder abgelenkt.

Er sorgte dafür, dass die Luft fast wie eine Hand an Rinoas Haaren zog.

Das reichte!

>> Verdammt nochmal!
Ben, lass es endlich!
Ich habe keine Lust auf deine dummen Spielchen. <<
meinte Rinoa aufgebracht.


Calina sah nach hinten.

>> Da gibts wohl ein Pärchen mit ungelösten Problemen. <<
meinte Rekia amüsiert.

>> Anscheinend.
Ich bin gespannt, ob sie sich jetzt an die Kehle gehen. <<
meinte Calina neugierig.

Derdekia blickte zu Námo.
Ihr Blick war eindeutig ein Was-hast-du-da-angerichtet-Blick.

Námo antwortete mit einem was-meinst-du-ich-habe-gar-nichts-gemacht-Blick.
Er wollte eindeutig nicht derjenige sein, der den Zorn dieser Furie abbekam.



"Ich mach doch gar nichts!", rief Ben wütend. "Es mag dir zwar vielleicht
entgangen sein, aber ich habe Besseres zu tun, als den ganzen Tag damit zu
verbringen, dir eins auszuwischen! Lass mich gefälligst in Ruhe mit deinen
Beschwerden!"

>> Du kleine intrigante Schlange. <<
zischte Riona.
>> Irgendwann zahl ich es dir heim. <<
meinte Rinoa wütend und sah wieder nach vorne.

Derdekia seufzte.
Námo machte ja wirklich viel Mist.

Ben schnaubte.
Hatte Rinoa Halluzinationen? Er konnte doch gar nichts machen,
während er hier still herumsaß. Seine einzige Kraft war immerhin
Heilung. Unglaublich schrecklich, natürlich. Damit konnte man ja
auch über mehrere Tische hinweg etwas machen, ohne auch nur
hinzusehen. Sicher.

Moment...

Vorsichtig glitt sein Blick zu Námo hinüber.
Aber nein, Námo war ein Engel, ein mürrischer, aber trotzdem.
Engel spielten keine Streiche.

Nach kurzer Zeit betrat eine junge Lehrerin mit
eier selbstbewussten und energischen Ausstrahlung
den Raum.

Die meisten in der Klasse verstummten bei dieser autoritären
Ausstrahlung und starrten die neue Lehrerin an, die
ruhig einen kleinen Ordner auf den Schreibtisch legte und die
Klasse dann musterte.

Das Schweigen bekam einen angespannten Unterton,
während die blauen, durchdringenden Augen jeden zu mustern
schienen.

Dann lächelte die neue Lehrerin zufrieden.
>> Für alle, die zum ersten Mal hier sind,
nocheinmal willkommen in Estarya. <<

Selbst die vordere Reihe musterte sie irritiert.
Sie kannten diese Lehrerin nicht.
Und niemand hatte ihnen gesagt, dass sie so selbstbewusst war.

Einen Vorteil aus der neuen Lehrerin zu ziehen, gaben sie nach
ihrer erfahrenen Musterung auf.

Námo hatte das ungute Gefühl, dass er sich bei dieser Lehrerin
am Riemen reißen musste. Keine geheimen Streiche, jedenfalls
nicht bei ihr, vorzugsweise auch nicht in ihrer Nähe...
Kein Vergnügen, kein Garnichts.

Aber sie konnte ja nicht überall gleichzeitig sein...

>> Genug der förmlichen Rede.
Ich mag diese ganzen Begrüßungsflosskeln nicht.
Wie ihr euch denken könnt, bin ich eure neue Klassenlehrerin. <<

Eine Hand hob sich aus der Menge.

Die Klasse blickte zu dem Jungen, der sich mit
einem ruhigen Blick meldete.

Die Lehrerin blickte ihn ebenfalls an.
>> Dein Name? <<

>> Alfie. <<
antwortete der Junge mit einer warmen, aber
verträumt klingenden Stimme.

Die vordere Reihe grinste.
Der Name war ziemlich amüsant.

Selbst Derdekia war solch ein Name nie untergekommen,
als sie von Schützlingen und Menschen gehört hatte.

>> In Ordnung, Alfie.
Du hast eine Frage? <<

>> Ja, genau.
Sind sie neu an dieser Schule? <<

>> Ja, das bin ich. <<
meinte die Lehrerin ruhig.

>> Hmm... das wollte ich vorerst wissen.
Danke. <<
meinte der Junge ruhig und senkte die Hand.

Die Lehrerin sah ihn irritiert an.

Calina konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Was zur Hölle war das gerade gewesen?

Námo blickte kurz interessiert in Alfies Richtung.
Auch er hatte keine Ahnung, was das gerade eben für einen Sinn
gehabt hatte, doch es amüsierte ihn. Vielleicht sollte er diesen
Alfie im Auge behalten.
Der Ärmste - wer hatte schon so einen Namen?

Innerlich kicherte Námo.