Eine kleine Schneeflocke kam langsam und elegant vom Himmel runter....
eine weiße Landschaft erwartete sie dort unten.
Bäume ohne Blätter, aber mit wunderschön glänzenden Eiszapfen.
Teiche und Flüsse, bedeckt durch eine dicke Eisschicht, und nun genauso weiß wie der Rest.
Büsche sahen aus wie kleine erhabene Wolken, die auf Mutter Erde niedergekommen waren.
Häuser und Straßen waren in reines, stilles Weiß gehüllt.
Nur vereinzelt trat Dampf aus Schornsteinen, dessen Grau bald darauf in der dunkelweißen
Decke am Himmel verschwand.
Alles glitzerte und war in eine nichtirdische Ruhe eingehüllt.
Eine Traumlandschaft, wie man sie selten auf diesem Kontinent zu sehen bekam....
Estarya.
In all seiner winterlichen Schönheit und Eleganz erstreckte sie sich unter der kleinen Schneeflocke, die langsam
auf den Eiszapfenwald, der im Sommer nur so vor Grün strahlte, zusegelte.
Vorbei an den letzten eingefrorenen Blättern der Baumkronen, die wie kleine schön getaute Glasplatten aussahen.
Vorbei an dem glitzernden Stamm der großen Bäume, in denen es nur so voller Leben pulsierte, dass
in einem harmonischen Schlaf zwischen Winter und Frühling gefallen war.
Das kleine Schneeflöckchen tanzte seine Ankunft auf der Erde und bewegte sich zwischen all dieser Natur zu
seinesgleichen weiter.
Um mit ihnen zu dieser reinen, weißen Pracht zu verschmelzen, die alle Lebewesen wenigstens für einen Moment
die Gräuel und Gewalt der Welt vergessen ließ... und sie mitnahm in eine andere, unschuldige und wunderschöne,
Welt nahm.
Doch für eben dieses tanzende, freie Schneeflöckchen eröffnete sich ein anderes Schicksal.
Wärme kam in dieser schönen, aber kalten Welt zum Vorschein.
Eine andere Welt für das Schneeflöckchen, dass auf eben jener warmen Hand landete und doch wieder
dort angekommen war, wo seine Bestimmung war.
Im schönen, nichtirdischen Himmel... in den Händen eines Himelskindes.
Und so ließ es sein schönes magisches Glitzern auf eben jenen Händen erstrahlen und zerfloss in der
wohligen, liebenden Wärme.
Es war hier genauso herzlich willkommen wie bei seinesgleichen...
Die Hände legten sich an die Brust und ein Seufzer entglitt dem Mädchen, das diese liebevolle Wärme ausstrahlte.
Derdekia sah wieder in den Himmel, während ihr Atem, der nun ein feiner Dampf war, sich langsam auflöste und verschwand.
Auch ihre braunen, langen Haare glitzerten genauso wie der Rest der weißen Traumlandschaft.
Es war ein normalter und doch besonderer Wintertag.
Als sie hierher gekommen war...
gekommen, um ihren Schützling zu finden und zu begleiten, hatte sie nicht gewusst,
was auf sie wartete.
Der Himmel spiegelte sich in ihren grünen Augen, in denen der Frühling lebte und niemals verschwand.
Nicht dein Problem, sagtest du, Leonora...
Du gehst den falschen Weg...
es ist mein Problem, es ist meine Pflicht und mein Wille.
Derdekia sah wieder vor sich.
Sie schritt auf dem Randweg des Waldes.
Hier herrschte eine andere Welt, andere Regeln und andere, kleine Wunder.
Hier fühlte sie sich geborgen.
Sie wusste, dass auch Leonora einst hierhergekommen war.
Dass sie die Wunder und die Schönheit dieses kleinen Reiches entdeckt hatte.
Doch hatte sie es vergessen... diese ihre Seite verschoben, in die hinterste Ecke ihres
Verstandes...
Nun kam sie nichtmehr hier.
Sie sah keine Schönheit, keine Wunder.
Ihr Blick war verschlossen...
Sie sah selbst sich nichtmehr.
Derdekia schloss die Augen und erinnerte sich daran, wie sie ihrem Schützling begegnet war:
Schallendes Gelächter tönte durch die Sporthalle.
Es war nicht freundlich, sondern höhnisch und verachtend.
Derdekia betrat gerade die Halle.
Sie war die neue Schülerin, aus einem den Schülern unbekannten Land.
Das Gelächter weckte sofort ihre Aufmerksamkeit und so blickte sich hinüber und runzelte die Stirn, als sie sah,
was sich vor ihren Augen abspielte.
Eine Gruppe von Mädchen stand um ein Netz herum, in dem zwei hilflos wirkende Mädchen eingedreht waren.
Andere Mädchen standen eher unentschlossen und unsicher im Hintergrund.
Dies waren eindeutig die "Zicken" dieser Klasse.
Ihre Blicke waren höhnisch und verachtend.
>> Und jetzt sag mir nochmal, ich spanne das Netz falsch. <<
sprach eine giftige Stimme aus der Gruppe.
Ein schlankes, großes Mädchen mit blondem Haar und stolzem Gang trat an das Netz und sah das eine Mädchen triumphierend an.
>> Ich denke.. dass ist gespannt genug. <<
spuckte sie den beiden förmlich vor die Füße.
Wieder erklang höhnisches Gelächter.
Derdekias Augen weiteten sich irritiert und verletzt zugleich.
Wie konnten sie nur soetwas tun?
Empfanden sie denn keinen Menschensinn? Keine Gnade und keine Liebe?
Nicht wenigstens ein bisschen Anstand?
Doch dem war nicht genug für den jungen Engel, der gekommen war, um seinem
Schützling beizustehen.
Ein weiteres Schwert schien ihr ihr unschuldiges und reines Herz zu durchstoßen, als
sie unter den lachenden Mädchen ihren Schützling entdeckte.
Ein hübsches Mädchen mit schwarzem, glatten Haar und dunklen, tiefen Augen.
Doch sie waren mit Hohn und Schadenfreude gefüllt.
Was war nur geschehen in diesem einen Jahr, in dem sie nicht hatte bei ihr sein können?
Doch genug! Sie musste einschreiten....
Derdekia öffnete wieder die Augen und sah ins reine Weiß.
Als sie dann einige Stunden später allein auf Leonora gestoßen war, was sehr selten eintrat,
hatte sie ihr gesagt, dass sie den falschen Weg einschlug...
und nach dem Grund gefragt.. wieso sie so geworden war.
Doch Leonora hatte sie voller Hass und Ablehnung angesehen...
Es hatte ihr so weh getan...
Das ist nicht dein Problem.
Derdekia blickte auf den weichen Boden, hinter dem sich eine harte Fassade verbarg.
>> Leonora... wie kann ich dir nur helfen? <<