Der rote Gemeinschaftsraum

Er seufzte. "Wenn doch nur auch andere Leute" -
Seitenblick zu Leonora - "genauso einsichtig wären
wie du..."

Dann grinste er Genika kurz zu.

Leonora warf ihm einen mörderischen Blick zu.

Es fehlte nurnoch das Schlangenzischen und die
plötzliche Dunkelheit, die sich hinter Leonora ausbreitete.


>> Kannst doch selbst nichts besseres als
in Selbstliebe zu schwelgen und dich über deine
Pflichten als Engel, der du sowas von garnicht bist,
zu beschweren. <<
murrte Leonora.

Derdekia seufzte.

Leonora hegte anscheinend einen unglaublichen Groll gegen
Námo.
Wie konnte man ihr das bloß austreiben?

Námo schnaubte herablassend.

"Du als eine der größten Zicken der Welt solltest da
mal ganz still sein", empfahl er kühl. "Weißt du, ich
bin richtig froh, dass sich Derdekia mit dir herumschlagen
muss statt mir."

Wie man deutlich merkte, war die Ablehnung nicht
unbedingt einseitig.

Leonora baute sich vor ihm auf und starrte ihm
herausfordernd und zornig in die Augen.

>> Die Freude ist ganz meinerseits.

Niemals würde ich so einen kaltes Wesen wie dich
zum Schutzengel haben wollen.
Du wirst ihr so oder so schaden. <<
zischte sie.

>> Jetzt reicht es wirklich! <<

Derdekia schob sich zwischen die beiden und zog
Leonora dann entschlossen von Námo weg.

>> Wisst ihr eigentlich, dass genau das unser sicherer Tod ist?! <<
fuhr sie Námo und Leonora wütend an.

Genika sah sie erschrocken an.
Derdekia konnte wirklich einschüchternd werden, wenn sie so
wütend aussah.

>> Es geht mir nicht darum, dass ihr euch mögen müsst.
Das ist im Augenblick anscheinend unmöglich.
Aber ihr solltet euch soweit tolerieren wie es geht.

Wir stecken hier alle in einem Boot.
Und ich rede nicht von diesem Anwesen. <<

Námo verzog das Gesicht.

"Ich toleriere sie doch, so weit es geht..."

Was bildete sie sich eigentlich ein? Zu
behaupten, er würde Genika schaden...
Was bildete sie sich eigentlich ein?!

Leonora warf ihm noch einen missbilligenden Blick zu, bis sie
sich vollends zu Derdekia wandte.

>> Kann ich zu meinen Freunden gehen? <<
fragte sie eindringlich.

Derdekia überlegte kurz,
doch gab sie schließlich seufzend nach.

>> Ja. <<

Leonora lächelte ein Lächeln, das dem von Derdekia stark konkurrierte,
ein engelsgleiches Lächeln.

Derdekia sah sie ruhig an.

>> Aber es gibt eine Bedingung. <<
fügte sie entschlossen hinzu, als hätte es die Sprechpause eben garnicht gegeben.

Leonora sah sie verwundert an.

>> Was? <<

Ja, was? Sag es schnell, dann sind wir sie los,
grummelte Námo innerlich.

Leonora störte ihn gerade wirklich sehr.

>> Genika soll dich begleiten. <<
erklärte Derdekia.

>> WAS?! <<

Jetzt war es Genika, die erschrocken auffuhr und neben Leonora eilte.

>> Das kannst du nicht von mir verlangen! Ich... <<

Erst dann merkte sie, was sie gesagt hatte und wurde schlagartig zurückhaltend.

>> Ich meine... die, die mögen mich nicht so. <<
fügte sie dann kleinlaut hinzu und senkte den Blick.

Derdekia runzelte die Stirn.

>> Es gibt da eine von ihnen, die dich sehrwohl mag. <<

Dabei sah sie zu Leonora, die verdutzt zusammenfuhr.

Sie wollte schon etwas erwidern, hielt dann aber inne und atmete tief ein.

>> Na gut.
Ich nehme sie mit. <<
gab sie sich schließlich geschlagen und sah von der Seite zu Genika.

>> ... und sorge auch dafür, dass sie ihr nichts antun. <<
fügte sie dann notgedrungen hinzu.

Derdekia lächelte stolz.

>> Es geht mir nur um eure Sicherheit.

Ich will euch weder einschränken, doch weder will ich eure Sicherheit riskieren.
Es ist einfach besser, wenn ihr zu zweit seid. <<

Námo war sprachlos.

Bitte...was?! Genika? Aber...aber...aber...

Sein Mund klappte auf und zu.

Das ist...das ist Mord! Nun gut, vielleicht nicht Mord, aber...
doch, Mord! Es ist unsere Aufgabe, Genika zu beschützen,
nicht, sie den Löwen zum Fraß vorzuwerfen! Nun gut, es ist
meine Aufgabe, aber...ich hätte gedacht, dass Derdekia
wenigstens ein wenig Rücksicht darauf nimmt! Soll ich nicht
vielleicht besser mitkommen? Aber das geht nicht...ach,
fahrt doch alle zur Hölle! Oder auch nicht...aber...argh!

Derdekia blickte kurz zu Námo.

Sie konnte sich schon denken, was in ihm vorging.

Hoffentlich musste sie sich nicht gleich etwas von ihm anhören.

Fast schon wäre sie am liebsten mit den Mädchen mitgegangen.

Aber nein, ihre Entscheidung hatte Gründe.
Gute und starke Gründe.

>> Lass uns gehen. <<
meinte Leonora entschlossen und schritt aus dem Raum.

Genika sah Námo kurz unsicher an, folgte Leonora dann aber nervös.

Námo lächelte Genika gezwungen hinterher.
Dann sah er Derdekia düster an.

"Ich hoffe, du hast gute Gründe dafür...",
grummelte er, als sie ihn nicht mehr hören
konnten.

Derdekia lehnte sich an das Fenster und sah zu
Námo rüber.


>> Ich weiß, du bist bestimmt nicht begeistert.

Leonora und Genika sind keine guten Freunde.
Und Leonoras Freunde nicht gerade nett.

Aber sie sind zu zweit sicherer.

Ich will mir nicht ausmalen, was passieren könnte, wenn eine von
ihnen allein angegriffen werden würde.

Seit einiger Zeit beschleicht mich ein übles Gefühl, dass dieses
Anwesen nicht unser Einziges Problem werden wird.

Spätestens seit gestern ist mir klar geworden, dass es mich nicht getäuscht hat.

Die Engelsjäger haben von unserem Aufenthalt in der Stadt erfahren.
Das haben sie uns ja deutlich gezeigt. <<

Sie musste dabei widerwillig an das schreckliche Kunstwerk aus ihren toten
Schwestern und Brüdern mit ihren Schützlingen denken.

Und an ihren eigenen, kleinen Schützling.

Ihr war zu Heulen zumute.
Aber sie musste stark bleiben und durfte sich nicht davon unterkriegen lassen.

Es war den anderen zuliebe.

Námos Gereiztheit verflüchtigte sich im Nu.
Daran hatte er nun wirklich nicht gedacht -
dabei war es seine Aufgabe, Genika zu
beschützen!
Er seufzte.

"Danke...das habe ich wirklich nicht bedacht."

Da traf es ihn wie ein Blitz. Lian! Was, wenn die
Jäger seinen anderen Schützling gefunden hatten?

"Ich muss heute noch mal weg", teilte er Derdekia
mit. "Ich hoffe, du hattest nicht vor, noch einmal
in das Haus zu gehen?"

Derdekia hustete etwas.

>> Nicht im Geringsten. <<

Sie musterte ihn nachdenklich.

>> Geht es um einen anderen Schützling? <<

"Ja", bestätigte Námo. "Er lebt allerdings nicht hier, sondern
in Oheo - also ziemlich weit weg. Ich will nur sicherstellen,
dass er noch sicher ist...er sollte zwar auf sich aufpassen
können, aber sicher ist sicher."

>> Das stimmt.

Ich sehe mich währenddessen hier um.

Damit Genika und Leonora nicht von ihnen angegriffen werden. <<
meinte Derdekia mit einem entschlossenen Lächeln.

Námo nickte dankbar.

"In Ordnung - dann mache ich mich auf den Weg.
Viel Erfolg bei den beiden!"

Er verließ den Raum. Als kleinen Abschiedsgruß
ließ er es sich jedoch nicht nehmen, Derdekias
Rock noch einmal dezent hochzuwehen und sie
überhaupt nicht subtil anzugrinsen.

Derdekia schrie erschrocken auf und versuchte,
ihren Rock sofort wieder runter zu drücken.

>> Námo! <<

Ihr Gesicht war rot geworden.

Doch der war schon verschwunden und hatte klugerweise
die Tür hinter sich geschlossen. Derdekia schrie also Luft
an.

Hinter der Tür unterdrückte Námo ein Lachen und machte
sich eilends auf den Weg.

Derdekia atmete tief ein.

>> Dieser Scherzbold..<<


Sie schüttelte leicht den Kopf und verließ dann
ebenfalls den Raum.

Rinoa saß auf dem Sessel im roten Gemeinschaftsraum und
blickte seufzend in das Feuer.

Ihre Gedanken kreisten ständig um ihr großes Problem.

Die anderen Setia-Hexen.

Die ganze Zeit war diese Angst in ihrem Unterbewusstsein, dass
sie sie finden würden. Und bestrafen, wenn nicht sogar töten...

Sie schauderte.

Wieso musste es so schwer sein, gut zu werden?
Es kam ihr vor, als hätte es sich nicht gelohnt, diesen
Schritt zu wagen. Nein, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.
Für garnichts!

Nun ja .. für gemeine, hasserfüllte Kommentare ihres ehemaligen,
ignoranten Bekannten, die man nur mit einem eben so scharfen
Ton erwidern musste.

War Ben also der Dank für ihre ganze Qual?

Rinoa blickte düster vom Feuer weg.
Na, vielen Dank....

Ben öffnete die Tür, um in den Raum zu gehen, sah,
wer darin war und schloss sie gleich wieder.

Er würde wohl woanders hingehen müssen - mit ihr
wollte er sich nicht herumschlagen müssen.

Rinoa blickte kurz verwirrt zu der Tür und runzelte die
Stirn.

Nach kurzem Überlegen konnte sie sich jedoch denken,
wer von hunderten Schülern ausgerechnet in diesen Gemeinschaftsraum
gehen wollte, sie gesehen hatte und, von der kindischen Psyche geleitet,
gleich wieder abgehauen war.

Sie seufzte angenervt bei dem bloßen Gedanken an Ben und drehte sich
wieder zum Fenster.

Wer keine Probleme hatte, machte sich eben selber welche.
Völlig erbärmlich war das!