Die Medietra-Wälder

Tyrinia sah zu den beiden rüber.

>> Schwer zu sagen. Ich habe das Gefühl, dass die beiden
unsere Reise in eine etwas andere Atmosphäre bringen werden. <<
seufzte sie.

>> Ich würde sie ja am liebsten getrennt an verschiedene Bäume fesseln.
Aber wir müssen sie ja mitnehmen.
Also versuche ich....nein, du solltest Selin besser fragen.

Mich wird sie eher mit dem Seil strangulieren. <<
meinte Tyrinia sehr sicher.

Und mich nicht?, fragte sich Riyad.

Doch er hätte Tyrinia nicht vom Gegenteil überzeugen können -
und sie mussten weiter.

Also nährte er sich dem Paar.

"Selin, wir haben ein Seil. Flieg es doch mal rüber", sagte er aus
halbwegs sicherer Entfernung.

Er hatte Glück, dass Selin genau das brauchte.

Eine Flucht!

Mit unterdrückter Freude grummelte sie soetwas wie:
>>Meinetwegen... <<

Dann packte sie das Seil, bemühte sich, Nekir nicht anzusehen und eilte zu der Klippe.

Tyrinia sah das andere Seilende zufrieden an.

Innerlich erleichtert, dass er nicht in Stücke gerissen
worden war, kehrte Riyad zu Tyrinia zurück.

Das hatte doch äußerst gut geklappt.



Unzufrieden blickte Nekir den beiden hinterher.

Selin begnügte sich vorerst damit, nur ihre Flügel heraufzubeschwören und
sich nicht ganz in ihre Furiengestalt zu verwandeln.

Dadurch musste sie ihre Kraft nicht in die Kontrolle ihrer
mentalen Stabilität setzen.

Sie flog schweigend über die Klippe.

Tyrinia wartete, bis sie sicher am Ende stand.

>> Versuch, das Seil so fest um den Pfeiler zu binden.
Hast du einen Haken? <<

>> Ich habe genug Kraft, um das Seil um den Pfeiler gewickelt zu lassen. <<
meinte Selin schulterzuckend.

Tyrinia runzelte die Stirn. Sie wollte ihr Leben nicht in Selins Hände geben.

Sie kramte wieder in ihrerm Rucksack und warf Selin ein glitzerndes Objekt zu.

Selin fing es auf.
Es war ein Haken.

Angenervt sah sie zu Tyrinia rüber und band das Seil um den halb erhaltenen Pfeiler.

>> Richtig schön stramm. <<
setzte Tyrinia noch hinzu.

>> Jaja. <<

Riyad behielt die Situation im Auge und fragte sich,
ob er sein Vertrauen in das Seil setzen konnte.

Hatte Selin es auch richtig befestigt?

Als Selin das Seil befestigt hatte, setzte sie sich auf den Rand der Klippe
und sah der Gruppe zufrieden entgegen.

Tyrina prüfte die Spannung im Seil.

Dann musterte sie kurz den Abstand.

>> Hey Selin, du könntest unsere Sachen nehmen. <<
rief sie der selbstzufriedenen Furie zu.

>> Ich könnte.
Ich könnte euch aber auch zusehen. <<

>> Meinetwegen.
Ich würde sagen, Nekir kann als Erster gehen.

Ihr zwei scheint sowieso euren Spaß zu haben.
Ich will euch nicht zu lange getrennt lassen. <<
meinte Tyrinia lächelnd.

Selin durchbohrte sie förmlich mit dem Blick.

Nekir wirkte äußerst selbstzufrieden.

"Das ist zu gnädig", erklärte er und machte sich
auf den Weg über dem Abgrund.

>> Shh shhh!! <<
machte Selin und machte eine wegwedelnde Handbewegung in Nekirs Richtung,
als er rüberkletterte.

Tyrinia wartete ab.

Selin wollte ihn nicht drüben haben.
Also konnte sie den Haken ziehen.

Wenn sie es nicht tat, dann besaß sie doch so etwas wie ein Pflichtgefühl,
auf das Riyad und sie sich verlassen konnten.

Wenn Nekir ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen,
zeigte er es nicht, sondern lächelte Selin fröhlich an
und winkte ihr (in den Momenten, in denen seine Arme
und Hände nicht anders beschäftigt waren) zu.

Selin verdrehte die Augen und spielte mit ihrer Hand am Haken rum,
während sie Nekir mit ihren Augen fixierte.

Es fühlte sich unglaublich gut an, kurzzeitig die Macht über ihn zu haben.

Tyrinia war nun ganz aufmerksam. Ihr fehlte nurnoch ein guter
Sitz und etwas zum Naschen.

Für einen nichtsahnenden Beobachter schienen sich Nekirs Bewegungen
schubweise zu beschleunigen, um dann wieder auf ein normales Tempo
zurückzufallen.

Ein Eingeweihter konnte ahnen, dass er gerade seine Fähigkeiten nutzte,
um anzugeben.

Selin runzelte die Stirn, während Tyrinia Nekir aufmerksam musterte.


Das merkte sie sich.


>> Du kannst auch genauso schnell wieder umdrehen.
Hier ist keine Verwendung für dich! <<
grummelte Selin Nekir an.

Nekir war inzwischen angekommen.

"Du verletzt mich zutiefst", teilte er ihr mit.

Dann löste er in Sekundenbruchteilen das Seil und ließ
seine Seite hinunterfallen.

Tyrinia sprang erbost auf.

>> Du Mistkerl!! <<


Selin sah von dem nicht mehr hängenden Seil zu Nekir, dann zu Tyrinia, die
wahrscheinlich kurz davor war, Nekir den schlimmsten Schmerz seines Lebens
zu bescheren und dann wieder zu Nekir.

>> Du bist so ein Idiot! <<

"Wieso?"

Nekir schien sich keiner Schuld bewusst zu sein.

"Jeder hat jetzt, was er will - ich habe Zeit mit dir
und die beiden haben Zeit zusammen."

>> Außer dir will das hier niemand! <<
knurrte Selin wütend.

>> Ich bin so kurz davor, dich die Klippe runterzustoßen. <<
konnte Selin noch sagen, da streifte ein stechender Schmerz Nekirs
rechte Schulter.

Tyrinia stand mit geballter Faust vor der Klippe.

Nekir grinste breit.

"Schnell weg hier!"

Mit diesen Worten ignorierte er, was Selin gesagt hatte,
packte ihren Arm und zog sie hinter sich her, vorzugsweise
weit weg von Tyrinia.

Und Riyad, wie er gedanklich hinzufügte, als ein Eiszapfen
dicht neben ihm auf dem Boden zerschellte.

Tyrinia trat wütend mit dem Bein auf.

>> Das wird der Köter büßen. <<
fluchte sie.

Dann kehrte sie in ihre verhängnisvolle Ruhe zurück, in der
die schlimmsten Pläne keimen konnten.

Sie schwieg einfach wieder und zog das losgemachte Seil wieder auf
Riyads und ihre Seite.


Selin sah ihn entgeistert an und stemmte sich gegen ihn.

>> Bist du verrückt? Willst du sterben?! <<
fuhr sie ihn an.

Nekir zuckte mit den Schultern.

"Nein, nicht heute. Vielleicht in ein paar Wochen.
Aber freu dich - wir sind sie jetzt erst mal los!"

Er verstand gar nicht, was ihr Problem war.

Selin verdrehte die Augen.

Dieser Kerl war unglaublich!

Aber es tat schon gut, von den beiden weg zu sein, wobei
ihr Riyad nicht wirklich in den Weg gekommen war.

Im Gegensatz zu dem lüsternen, ruchlosen Biest mit Brüsten.


Das eben beschriebene Wesen setzte sich mit einem Seufzer auf den Boden.

>> Ich schätze, wir müssen einen anderen Weg finden.
Es gibt ein paar Hintern zu schmoren da drüben. <<
meinte sie an Riyad gewandt.

Nekir grinste breit.

"Gib es zu - du freutst dich."

Er kannte Selin doch.



Riyad nickte und griff nach der Karte,
die er zuvor wieder eingesteckt hatte.

Selin schwieg kurz.

Dann grinste sie schadenfreudig.

>> Ihr Gesicht war unbezahlbar.
Das muss ich dir lassen. <<


Tyrinia überlegte sie.

Dann sah sie wieder abrupt auf, als hätte sie eine plötzliche Geisteseingebung.

>> Hey, wie stark sind deine Kräfte?
Du kannst doch Eis produzieren! <<

Nekir verneigte sich im Gehen leicht.

"Danke, danke. Zugaben gibt es nur mittwochs und samstags.
Bei Sonderwünschen sagen Sie bitte einen Tag im Voraus
bescheid, ich kümmere mich gern darum."



Riyad hob eine Augenbraue.

"Weißt du, wie dick eine frei hängende Eisplatte sein muss,
um dein Gewicht zu tragen?"

Wollte sie, dass er sich völlig verausgabte?

Selin schüttelte amüsiert den Kopf.

>> Du bist ein Kindskopf! <<
schmunzelte sie.

Und dieser verdammte Kindskopf brachte ihr Herz dazu, sich aufzuwärmen!


Tyrinia sah ihn mit einem Mal tödlich an.

>> Willst du damit etwa sagen, dass ich fett bin? <<
bohrte sich das eiskalte Verbrechen eines grausamen Todes in seine Ohren.

"Kindskopf und stolz darauf",
bestätigte Nekir.

Er machte Fortschritte darin, zu Selins weichem Kern durchzudringen!



Riyad erwiderte den Blick ungerührt.

"Ich will damit sagen, dass du zu schwer bist, um von einer Brücke aus
Eis gehalten zu werden. Du kannst es ja auf deine schweren Knochen
schieben."

Selin stemmte sich abrupt gegen ihn, sodass er gezwungen war, zurückzustolpern.

>> Gut, jetzt ist genug.

Wir gehen nicht weiter.
Unsere abdingbaren Begleiter haben immerhin noch unsere unabdingbaren Rucksäcke. <<


>> Verkauf mich nicht für dumm!

Dein Gewicht sollte eine Eisbrücke tragen können? <<

Sie musterte ihn abschätzend.
>> Hey, vielleicht wird sie dich sogar tragen können.
Eine halbe Portion sollte dein seltsam brüchiges Eis aushalten können. <<

"Willst du wirklich zurück und sie holen?"

Nekir schwieg für einen Moment, um dann hinzuzufügen:
"Ohne als ein Haufen ehemalige Selin auf dem Boden der
Schlucht zu enden, meine ich."



Riyads Blick blieb so ausdruckslos wie zuvor.

"Ich habe nie gesagt, dass es mein Gewicht tragen kann."

Selin überlegte und blickte in die Richtung, aus der sie gekommen waren.


>> Du weißt, dass es keinen großen Unterschied machen wird,
ob wir jetzt oder später zurückkommen.

Sie werden sogar noch angenervter sein, wenn sie sich einen alternativen,
beschwerlichen Weg suchen müssen.

Wie ich Tyrinia kenne, wird ihr dieser seltsame Riyad auch garnicht als Weggefährte passen.

Das heißt... <<

Sie zog einen Mundwinkel hoch und runzelte die Stirn.

>> Andererseits ist da die Klippe.
Die passt mir nicht. <<


Tyrinia sah ihn noch einen Moment lang wütend an.

Dann wandte sie sich von ihm ab und richtete sich wieder auf.

>> Das heißt zusammengefasst, dass deine Fähigkeiten zu Nichts zu gebrauchen sind. 

Es wird Zeit, sich einen anderen Weg zu suchen. <<
zog sie seufzend und auch leicht verachtend das Fazit dieser heiklen Diskussion
und schulterte ihren Rucksack.

>> Du kannst hier meinetwegen vergammeln und Eisskuplturen bauen.

Ich gehe, damit diese verdammte Mission so schnell wie möglich wieder vorbei ist. <<

Tyrinia sammelte noch das Seil ein und verstaute es in ihrem Rucksack.
Damit würde sie später jemanden erdrosseln, wenn sich die Gelegenheit bot.

Nekir rollte mit den Augen.

"Jetzt komm einfach weiter."



Riyad holte legte betont abgelenkt die Hand auf die Tasche,
in der er noch immer die Karte trug.

Dann blickte er nach oben.

"Heute ist kein guter Tag für Eisskulpturen", entschied er,
"aber gute Idee."