Das Land Maelif

"Nein, nein",
meinte Fingolfin fröhlich.

"Es ist eine Überraschung! Sei geduldig."

Aurora foglte ihm und hatte Mühe, ihre leicht
kindliche Aufregun zu verstecken.

Vorfreude war eine der schönsten Freuden, die sie bis jetzt kannte.

Fingolfin führte sie über einen Waldweg immer weiter, bis die Bäume
plötzlich zurückwichen und die Sicht auf einen Hügel preisgaben.

Von der Spitze des Hügels hatte man eine wunderbare Aussicht über
ganz Maelif.

Aurora sah sich fasziniert und ergriffen um.

Sie nahm das gesamte Bild in sich auf.

>> Es ist wunderschön. <<

Fingolfin lächelte.

"Ich dachte mir, dass es dir gefallen würde."

Aurora stieg vorsichtig von ihrem Pferd ab und ging etwas vor, um die
Aussicht genießen zu können.

>> Atemberaubend.

Kommst du oft hierher? <<

"Immer, wenn ich Ruhe brauche",
bestätigte er.

Und obwohl er bisher fast immer alleine hergekommen war,
hatte er immer das Gefühl gehabt, nicht einsam zu sein.
Er konnte einen großen Teil des Landes sehen, mit allen
Menschen, die dort lebten und arbeiteten. Und niemand
von ihnen verlangte von ihm, etwas zu sein, das er nicht war.

Es war befreiend.

Aurora strich ihr Kleid etwas zurecht und setzte sich dann vorsichtig auf den Boden.


>> Ich kann völlig nachvollziehen, wieso du diesen ort so magst.

Es lässt einem Zeit zum Nachdenken. <<

Fingolfin stieg nun auch ab und setzte sich zu ihr.

Er lächelte, während er schweigend hinabblickte.

Aurora blickte ebenfalls umher und nahm die ruhige Atmosphäre und das Bild in sich auf.

Plötzlich wurde Fingolfins Blickfeld verändert. Er sah noch immer
die gleiche Landschaft, doch es zogen dunke Wolken auf. Nein,
das waren keine Wolken - das war ein dunkler Nebel, der sich
langsam über das Land zog und unaufhaltsam in ihre Richtung
kroch. Der vorderste Teil war noch hell, beinahe wie normaler
Nebel, doch der hintere Bereich war pechschwarz. Gestalten
erhoben sich aus dem Nebel, dunkel, beinahe formlos und wieder
verschwunden, bevor er sie erkennen konnte. Fingolfin spürte,
dass dieser Nebel nichts Gutes mit sich brachte - niemand hätte
jemals so etwas denken können.

Dann war es so, als flöge er - tief in den Nebel hinein, der Felder
überzog, den Wald durchflutete und Häuser durchdrang. Doch er
sah auch etwas anderes: Menschen, die umherliefen, ohne etwas
zu bemerken. Der Nebel versuchte, sie zu erreichen, doch er konnte
keinen einzigen von ihnen berühren.

Im nächsten Moment war Fingolfin wieder in seinem Körper und alles
sah so aus wie zuvor. Er blinzelte einige Male, um sicherzugehen, dass
sich nichts mehr veränderte, dann beschloss er, das als Halluzination
zu betrachten.

Er wandte sein Gesicht nun Aurora zu und musterte sie von der Seite,
um durch den vertrauten Ausblick nicht an das erinnert zu werden,
was ihm seine Augen gerade vorgespielt hatten.

Und er hoffte, dass es nicht die Zukunft war.

Aurora lächelte ihm zu.

Dann sah sie ihn fragend an.

Er wirkte wie vor den Kopf gestoßen, obwohl doch nichts passiert war.

>> Stimmt etwas nicht, Fingolfin? <<

Er schüttelte schnell den Kopf und erwiderte das Lächeln.

"Nein, alles in Ordnung", versicherte er ihr.

>> Gut. <<

Auch, wenn Aurora dem Frieden nicht ganz traute.

>> Es gibt da etwas, das mich interessiert.
Hast du Freunde in dieser Stadt?
Ich weiß, dass es schwer ist, so etwas wie Freundschaften zu schließen. <<

Sie schwieg kurz.
>> Ich zum Beispiel habe keine Freundschaften. <<

Dergleichen wurde auch effektiv von meiner Mutter entfernt.

Für einen Moment schwieg er.

Er erinnerte sich an die Gruppe, zu der er gehört hatte -
zusammen mit Silwen.
Und wie sie reagiert hatten, als sie erfuhren, wer er war.

"Ich auch nicht", gab er dann zu.

Aurora seufzte.

>> Schade.
Ich hatte gehofft, dass wenigstens du einen Weg aus dieser Klemme gefunden hast
und mich nun in deinen Tempel der Weisheiten hättest einführen können. <<
meinte sie mit einem amüsierten Lächeln.

Fingolfin lächelte sie an, doch als er sprach, hatten seine Worte
einen leicht resignierten Unterton.

"Mit einem Vater wie unserem ist es nicht sonderlich einfach,
Freunde zu finden", erklärte er ihr.

Es war nun einige Zeit her, dass Aurora mit ihrem Halbbruder Fingolfin
gesprochen hatte.

Und doch war ihre Begeisterung und ihr Respekt noch
sehr intensiv.

Ihr Halbbruder schien wirklich ein guter Mensch zu sein.
Nicht verkommen in einer solch verzehrenden Welt wie der
adligen Gesellschaft.

Aurora schritt ruhig durch den Wald.
Ihr Pferd führte sie bei den Zügeln.

Sie hatte sich von Fingolfin getrennt, um den Weg allein zum Schloss
zu finden.

Doch es hatte sich nicht gestaltet wie sie gewollt hatte.
Der Weg schien ein anderer und ihre Sicherheit hatte sich
gewandelt in die beklemmende Version der Unsicherheit.

Sie ahnte, dass sie sich verlaufen hatte.

Aurora blieb stehen und sah sich um.
Es war nicht gut, diesen Weg zu gehen.

Ein dunkles, stechendes Gefühl tief in ihr sagte ihr, dass
sie umkehren musste.
Sonst würde etwas Schlimmes geschehen.

Kayden blickte auf. Hatte er gerade ein Pferd schnauben gehört?
Waren diese Soldaten etwa wieder zurück?

Missmutig schob er sich aus seinem kleinen Höhlenversteck
(kein Erdloch, vielen Dank auch!), um nachzusehen.

Aurora sah sich seufzend um.

>> Ich wünschte, diese Wälder wären mir bekannt.

Und du kannst mir leider nicht helfen. <<
meinte sie mit einem schwachen Lächeln, während
sie das Pferd neben sich führte und ihm sanft über den
Nasenrücken strich.


Von Kayden bekam sie nichts mit, auch wenn sie eine Grundanspannung hatte.

Eine junge Frau allein im Wald.
Das war eine schlechte und gefährliche Grundlage!

Kayden blickte aus dem Verborgenen in die Richtung, aus der er
das Pferd gehört hatte.

Eine junge Frau, ganz alleine im Wald? Und sie hatte sich verlaufen.
Außerdem schien sie recht wohlhabend zu sein, wenn er das richtig
erkannte.

Einen Überfall konnte er so nahe an seinem Versteck jedoch
grundsätzlich ausschließen - die Soldaten würden vermutlich
zurückkehren und die ganze Umgebung durchsuchen. Abgesehen
davon wirkte es nicht so, als hätte sie mehr dabei als das Pferd -
mit dem er nichts anstellen konnte, denn wie sollte er sich mit einem
Pferd verstecken und wo sollte er es verkaufen - und ihrer Kleidung.

So lustig es auch wäre, sie nackt und zu Fuß nach Hause zu schicken,
wenn sie sich verlaufen hatte, konnte es durchaus sein, dass sie erfror,
bevor sie ankam. Und dann würden die Suchen erst recht losgehen.

Vielleicht sollte er ihr stattdessen seine Hilfe anbieten. Doch wenn sie
jemandem davon erzählte, war sein Unterschlupf wiederum in Gefahr.

Jedoch war dies auch dann möglich, wenn sie darüber stolperte.

Er verharrte, unsicher, was er tun sollte.

Aurora schritt ruhig den Weg entlang.


Äußerlich.

Denn ihr Blick suchte die Umgebung akribisch nach jeglichen Zeichen
von Gefahr ab.

Ihre Beine und Sinne waren angespannt und bereit, zu flüchten, sobald
sich etwas bewegte.


Ihr Blick streifte etwas Dunkles zwischen den Bäumen und Büschen.

Erst maß sie dem keine Bedeutung bei, doch dann schaltete sich ihr Bewusstsein
noch einmal ein und ihr Blick wanderte unauffällig zurück.

Als ihre Augen den großen, jungen Mann in dunkler Kleidung und den intensiv
glühenden Augen, sog sie angesichts seiner einschüchternden Aura die Luft ein.

Als ihr Körper automatisch zurückwich, prallte sie gegen ihr Pferd, das sie
mit einem Schnauben an seine Existenz erinnerte und stehen blieb.

Auroras Blick blieb erschrocken auf Kayden fixiert.
Sie spürte, wie ihr Herz begann, zu rasen und sein Anblick ihre Beine gefror.

Kaydens Mundwinkel verzogen sich in einem humorlosen Lächeln.
Nun musste er sich entscheiden.

Er trat einige Schritte auf sie zu.
"Habt Ihr euch verlaufen, werte Dame?"

Aurora umgriff unauffällig mit ihrer rechten Hand das Reitgeschürr,
um im schlimmsten Fall sofort auf das Pferd springen und
flüchten zu können.


Äußerlich setzte sie ein charmantes Lächeln auf und sah Kayden freundlich entgegen.


>> Ich war dabei, einen Spaziergang mit meinem Bruder zu machen.

Doch wir haben uns für kurze Zeit getrennt und nun überlege ich, wie ich am besten
wieder in die Stadtmitte komme.
Wissen Sie einen guten Weg? <<
fragte sie ihn.


Etwas an diesem Mann drückte ihr die Brust zu und was sie ängstigte war, dass
sie die Ursache seiner einschüchternden Aura nicht erklären konnte.

"Die Stadtmitte?"

Ein weiterer Ort, an den er nicht gehen konnte.

"Da habt Ihr euch sehr verlaufen. Kehrt auf dem Weg, auf dem Ihr
hergekommen seid, wieder zurück. Sobald er nach rechts abzweigt,
müsst Ihr einfach nur geradeaus."

Aurora lächelte erfreut.

>> Vielen Dank. <<
meinte sie und sah ihm in die Augen.


Wie konnten Augen nur so eine Farbe haben?

Das war unglaublich! 

Sie räusperte sich und bemühte sich, wieder woanders hinzusehen.

Es war Zeit, zu gehen.

Kayden war ein wenig irritiert. Wieso starrte sie ihn so an?

Abrupt wandte er sich mit einem Nicken, das mit viel Wohlwollen
als respektvoll zählen konnte, ab.

Aurora kam wieder zu sich und wandte ebenfalls schnell
den Blick an.

Wieso starrte sie so?!

>> Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.

Noch einmal meinen herzlichsten Dank für die freundliche
Auskunft. <<
bedankte sie sich charmant und sprang geübt auf ihr Pferd.

Dieses schien sich schnaubend über etwas mehr Bewegung zu freuen.

Kayden machte ein unverbindliches Geräusch, nickte erneut
und machte sich in die andere Richtung auf den Weg.

Eine Adlige, die freundlich zu offensichtlich Nichtadligen war.
Er blickte hinauf und versuchte, durch die Baumwipfel den
Himmel zu erkennen. Regnete es fliegende Schweine?

Aurora sah ihm noch einmal nach.

Was für ein mysteriöser Geselle.


Sie hatte das Gefühl, heute unglaublich viel Glück gehabt zu haben,
als sie ihrem Pferd die Sporen gab und in die von
Kayden angewiesene Richtung davon ritt.