Unterirdisches Höhlenlabyrinth mit Verlies

"Nicht? Wen denn dann?"

Chikage hatte ohnehin ein allgemein schlechtes Vorstellungsvermögen immer dann, wenn es um Familie ging.
Und Eltern.
Er hatte nie einen Grund dazu gehabt zu hören, wie Personen, die nicht die leiblichen Eltern eines anderen waren, als Eltern bezeichnet wurden.
Folglich hatte er auch keine Ahnung, wen sie sonst meinen könnte.

"Du hast doch keine anderen Eltern."

>> Natürlich habe ich andere Eltern.

Undzwar die Eltern, die mich von klein auf erzogen und geliebt haben! <<
meinte sie etwas ärgerlich.

Er war so ein Holzkopf.... unglaublich .... und mit ihm sollte sie es bis an ihr
Lebensende aushalten?


>> Die Eltern, die mir in schlimmen Phase beigestanden haben und alle wichtigen Entscheidungen
getroffen haben!
Und auf deren Rat ich gehört habe... <<

Oder manchmal auch nicht... , aber das wäre gerade unpraktisch für ihren melancholischen Text.

Chikage begann mit der Erklärung.

"Dies sind nicht deine Eltern. Sie sind lediglich Personen, die dich aus dem einen oder anderen Grund aufgenommen haben.
Und wieso lässt du andere deine Entscheidungen treffen? Hast du keinen Stolz? Hast du keine Ehre? Hast du keinen eigenen Willen?"

Die Erklärung verwandelte sich in einen Vortrag.

"Du solltest sie nicht deine Eltern nennen, wenn sie das nicht sind!"

>> Sie sind meine Eltern!!
Nicht die biologischen, aber die gesellschaftlichen!!
Wieso soll ich meine Eltern lieben, wenn ich sie nicht kenne? <<
fragte sie aufgebracht.


>> Und außerdem.
Ich war noch jung und konnte keine Entscheidungen treffen!
Und ich habe einen Stolz! Denn ich sperre keine Mädchen in Zellen,
um sie zu einer Heirat mit mir zu zwingen. <<
meinte sie.

"Das tu ich auch nicht!", beschwerte sich Chikage, die aktuelle Lage missachtend.

"Davon mal abgesehen...wie bist du überhaupt zu deinen ...'Eltern' gekommen?!"

Das Wort 'Eltern' wurde dementsprechend ausgesprochen.

>> Ja, sie haben mich gefunden.

Ich weiß nicht, weswegen ich da lag!
Weil mich anscheinend jemand allein gelassen hat. <<
meinte sie.

Sie zeigte nicht, was sie dabei fühlte.
Aber dieser Gedanke hatte sie ihr ganzes bisheriges Leben über belastet...

Wieso hatte man sie einfach ausgesetzt?
Was hatte sie falsch gemacht?

Der Gedanke hatte sie ziemlich gekränkt... und es tat auch jetzt weh.

>> Und sie haben mich zu ihrer Tochter gemacht.
Sie haben mir die Liebe geschenkt, die ich vielleicht nie bekommen hätte. <<

"Wir Oni setzen unsere Kinder nicht aus!"

Diese Anschuldigung schien Chikage ziemlich wütend zu machen.

"Keiner von uns! Nicht unter Androhung der Todesstrafe! Und vor allem nicht der alte Adel! Wir sind schon jetzt zu wenige! Wieso sollten wir uns ins eigene Fleisch schneiden und Kinder aussetzen?!"

Jetzt ging es um die Ehre der Oni. Und Arisia hatte gerade diese angreifen müssen...

Arisia hatte nicht vor sich einschüchtern zu lassen.
Nicht von diesem Schnösel!


>> Und wieso bitte... wurde ich dann allein auf einem Feld gefunden?! <<
rief sie wütend.
>> Wobei ich doch eine von euch bin,
euer "Fleisch und Blut" ! <<
Die Bezeichnung sprach sie so verächtlich aus, dass die Verachtung nun im ganzen Raum zu triefen schien.

"Woher weißt du denn, dass du gefunden wurdest?"

Seine Stimme hätte Stahl zerschneiden können.

"Vielleicht haben dich deine 'Eltern' auch angelogen!"

Sie sprang wieder wütend auf.

>> Meine Eltern lügen mich nicht an!!!
Wie kannst du es wagen, das in Frage zu stellen!! <<
schrie sie außer sich.

Sie war jetzt schon so in Rage, dass ihre Stimme sich vor Wut überschlug.

"Nur du glaubst, dass sie dich nicht anlügen!", gab Chikage zurück.

Da seine aktuelle Stimmung schon nicht mehr mit Wut beschrieben werden konnte, war seine geistige Stimme dementsprechened laut.

"Aber wie ich bereits gesagt habe: Oni-Kinder werden nicht ausgesetzt!"

>> Wie bitte ist es dann dazugekommen?
Bin ich dem Storch aus dem Maul gefallen, oder was?! <<
rief sie aufgebracht.

Sie würde ihn gerade eigenhändig in Fetzen zerreißen,
ganz langsam...

Aber davor würde sie ihn richtig schön verprügeln.
Ihn gegen alles werfen, was sie finden konnte...

"Du bist wahrscheinlich genauso verschwunden wie alle anderen kleinen Mädchen in den letzten Jahrzehnten!"

Chikage musste noch einmal feststellen, dass Arisia seine Geduld auf eine harte Probe stellte.
Oder seinen Nerven gar nicht guttat.
Oder auch seine schlimmste Seite hervorbrachte.

Arisia schwieg.

Wieso dann lebte sie noch?

Sie beachtete Chikage nicht weiter und setzte sich hin.

Man musste sich bei Arisia daran gewöhnen, dass sie in Extremsituationen
häufige Stimmungswechsel hatte... je nach dem Lauf der Geschehnisse.

Jetzt hatte Chikage durchaus Lust dazu, Arisia in der Luft zu zerreißen.

Wieso war sie auf einmal so ruhig?!
Das brachte ihn beinahe um den Verstand.
Wie launisch konnte eine Person denn sein?

Um sich abzureagieren, brach er noch einmal den Kontakt ab und erschuf einige kleinere, wenig destruktive Wirbelstürme.

Sie sah wieder auf.

Diesesmal spürte sie, dass der Kontakt weg war.

>> Lass mich nicht allein, Holzkopf!! <<
rief sie... wieder etwas nervös.

Sie bereute es ja LEICHT, dass sie seine Art so beleidigt hatte.
Es war ja auch ihre...
aber sie war nunmal wütend darüber, dass ihr Leben so eine Wendung genommen hatte.

Und jetzt kam einer von ihnen einfach so an und meinte, sie solle ihn heiraten.
Wie leicht stellten sie sich das eigentlich vor?

Alles Holzköpfe...

Das Leben war nicht einfach! Man bekam nicht einfach alles so, wie man es haben wollte.

Chikage ignorierte Arisias Aufforderung komplett.

Wieso sollte er auch? Sie beleidigte ihn, sie beleidigte seine Art...
Er hatte jedes Recht, so zu reagieren!

>> Chikage... <<
klagte sie leise.


Entschuldigen würde sie sich nicht.

Er war ja nicht derjenige, der in einer dunklen Zelle saß, ohne etwas getan zu haben.

Chikage beruhigte sich langsam.

Doch er ließ sie noch ein wenig im Dunkeln.

>> Wenn du jetzt nicht kommst, dann heirate ich dich garnicht! <<
rief sie in die Dunkelheit.


>> Dann sterbe ich halt.
Haben deine Holzköpfe Pech gehabt. <<
meinte sie bockig und verschränkte die Arme.

"Diese Zelle schützt den Insassen vor sämtlichen Selbstmordversuchen", teilte Chikage ihr letztendlich doch mit.

Sie sah wieder etwas auf.

>> Und wieso hast du dich jetzt doch wieder umentschieden? <<

Insgeheim war sie erleichtert darüber, dass er wiedergekommen war...
aber andererseits hatte sie auch ihren Stolz und
zeigte ihre Gefühle natürlich nicht.
Er würde es nur gegen sie verwenden.

>> Ich kann ja auch einfach nicht essen und trinken.
Da kann diese Zelle auch nichts gegen machen. <<
meinte sie.

"Sei dir da nicht zu sicher...
Du kannst zwangsernährt werden."

Das alles sagte Chikage in einem komplett ungerührten Tonfall.

>> Wie kannst du nur so gefühlsleer sein! <<
sagte sie vorwurfsvoll.

>> Du merkst ja garnicht, wie ich leide.

Weißt du denn überhaupt, wieso es Hochzeiten gibt?
Man heiratet, weil man sich LIEBT und den Rest des Lebens mit der
geliebten Person verbringen will. <<

"Liebst du im Moment jemanden?", wunderte sich Chikage.
Das hatte er gar nicht bemerkt.

"Außerdem...ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Und für den Fortbestand unserer Art sorgen."

>> Ich liebe niemanden... <<
meinte sie leise.

>> Liebst du mich etwa?
Wohl eher nicht... <<
meinte sie.

>> Dir geht es nur um das Eine. <<

Sie musste plötzlich lächeln.
Das war irgendwie lsutig in dieser dummen Situation.
Sie redete wiedermal über das große Tabuthema... sogar während sie in einer
dunklen Zelle hockte.

Arisia musste sich zwingen, nicht über sich selbst zu lachen.
Das war einfach zu bescheuert.

Chikage wunderte sich, was sie plötzlich so lustig fand, denn das war auf den Überwachungskameras deutlich zu sehen.

Unbewusst fragte er sich dann, wie sie wohl nackt aussehen würde.

"Würdest du dich ausziehen? Ich möchte gerne die Anatomie einer weiblichen Oni begutachten", fragte er.

Das war wie ein Schlag ins Gesicht....


>> WAS?!
Ich zieh mich doch nicht aus! <<
rief sie wütend,
war aber sichtlich rot auf den Wangen geworden, da sie solche Fragen verlegen machten.


>> Du kannst dir ein Anatomiebuch über Menschenmädchen holen.
Die haben genau so eine Anatomie, wie Onimädchen! <<

Zumindest war das in ihrem Fall so...

Sich vor ihm ausziehen...
pfft...
was war das überhaupt für eine Frage...

So ein....
Perversling...

"...ich kenne mich allgemein mit weiblicher Anatomie eher...weniger aus", gab er etwas verlegen zu.

Was seltsam war: Er sprach problemlos darüber, dass sich jemand ausziehen sollte, aber jetzt wurde er rot.

"Wieso willst du dich nicht ausziehen?
Die Mädchen in Nigras haben größtenteils kein Problem damit."

Dabei sprach er allerdings nicht aus Erfahrung.

Arisia war selber ziemlich verlegen.

>> Ich komme aber nicht aus Nigras. <<
meinte sie bockig.

>> Ich habe noch sowas wie Ehre und Stolz...
und...
und ich werde mich bestimmt nicht vor dir ausziehen.

Und außerdem!
Du bist ja nochnichtmal hier.
Was ist, wenn du in deinem Räumchen noch andere Personen hast?

Bei sowas mache ich nicht mit. <<
meinte sie entschlossen und hatte jetzt glühend rote Wangen.

Sie sah gerade aus wie ein süßes kleines Mädchen, das das Wort
"Geschlechtsverkehr" gehört hatte und sich fremdschämte.