Die Stadt

Estaryas Stadt bietet einen faszinierenden Anblick.

Die meisten Häuser sind so aufgebaut, dass sie von der Außenarchitektur
und Fassadenbearbeitung an Eissschlößer oder gar an kleine Kunstwerke erinnern.

Diese Tradition hat sich schon seit Jahrhunderten in Estarya durgesetzt.

Dadurch gleicht Estarya, gerade nachts, einer schönen Eisstadt.

Von der Schule ist sie nur durch eine große Wiese getrennt und kann
entweder durch den angrenzenden Wald oder einem Feldweg erreicht werden.

Helligkeit dämmerte durch die Fenster in Genikas Wohnung.

Als einige Strahlen Genikas Gesicht streiften, verzog sie das Gesicht und
öffnete langsam und blinzelnd die Augen.

Bei einem Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass es noch sehr früh am
Morgen war.
Doch sie wusste, dass heute ein besonderer Tag war, da die Schüler der
"alten" Schule sich noch ein letztes Mal als eine Schule in dem alten Gebäude
versammelten.

Sie würden Informationen darüber bekommen, wie die Schulgestaltung nach
dem Gebäudewechsel aussah und wie die Organisation sich gestaltete.

Seufzend drehte Genika sich um. Es war noch Zeit, sie konnte noch etwas schlafen...

Doch dann sah sie plötzlich eine weitere Person neben sich liegen.
Erst war sie völlig verwirrt, doch dann erinnerte sie sich daran, dass
Namó bei ihr war.
Und ihr Puls stieg sofort...

Langsam erwachte auch Námo.

Zuerst war er verwirrt - wo genau war er?

Doch dann bemerkte er Genika und lächelte.

"Hast du gut geschlafen?"

Genika erwiderte das Lächeln etwas zurückhaltend.

>> Ja, habe ich.
Und du? <<

"Ich auch...
Heute ist der große Tag, nicht wahr?"

Auch er sprach von der Veränderung der Schule.

Und war schon ein wenig neugierig...was er aber
gut verbarg.

>> Ja, ich frage mich, wie die neuen Schüler sind.

Und ich hoffe, dass sie unsere traditionellen Schülerordnungen gründlich
durchmischen. <<
meinte sie mit einem kleinen Lächeln.


Einige Zimmer entfernt wachte Lenta ebenfalls auf.
Sie spürte sofort, dass sie einige blaue Flecken davongetragen hatte.
Doch sie hatte völlig vergessen, wo sie hier war.

Námo nickte.

"Das schadet eindeutig nicht..."

Das war seiner Meinung nach sowieso
schon längst überholt.

>> Ich frage mich, wie es Lenta geht.
Und ob das, was sie uns in der letzten Nacht erzählt hat,
wirklich wahr ist.
Denn dann wären das sehr beunruhigende Nachrichten. <<
meinte sie nachdenklich.

Námo seufzte.

"Das stimmt...
Aber wenn es wahr war, dann sollten
wir es eigentlich erfahren, meinst du
nicht auch? Immerhin hat sie erzählt,
dass mit einigen Leuten irgendetwas
geschehen ist...und dass andere
gestorben ist. So etwas lässt sich nicht
verbergen."

>> Das stimmt.
Wenn sie heute auftauchen, dann muss Lenta das
Falsche erzählt haben.
Dann würde ich mich aber ernsthaft fragen, was sie dazu
gebracht hat.
Ich kenne sie schon etwas länger und sie ist eigentlich nicht
so leicht aus der Fassung zu bringen, es sei denn es hat
etwas mit ihrer Erzfeindin zu tun.

Es muss etwas wirklich Thraumatisches passiert sein, dass sie
so völlig aufgelöst war. <<

"Das stimmt", meinte Námo langsam.

Er fragte sich, was da geschehen war.
Die Geschichte, die Lenta erzählt hatte,
hatte so unwirklich gewirkt...
Ob da wirklich etwas dran war?

Genika setzte sich langsam auf.

Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten,
sah sie sich kurz um.
>> Ich sehe besser nach ihr und der Wunde. <<

Námo stand auf.

"Ich komme mit."

Immerhin sollte er ihr Beschützer sein. Da konnte er sie
nicht alleine überall hingehen lassen.

Auch, wenn es vielleicht etwas übertrieben war.

Genika nickte.

Es war ihr zwar etwas unangenehm, im Schlafanzug
vor Namó zu stehen, doch ändern konnte sie das
sowieso nicht so schnell.

Also verließen sie ihr Zimmer.

Námo fragte sich, wie es Lenta in der Nacht ergangen war.

Es war bestimmt nicht angenehm gewesen...

Lenta saß auf dem Sofa im Wohnzimmer, als
Genika und Namó den Raum betraten.

Es schien ihr wieder besser zu gehen.
Sie zitterte zumindest nicht und hielt sich gut
in der sitzenden Position.

Genika lächelte.
>> Guten Morgen. <<

Lenta drehte sich etwas zu ihnen und lächelte dann
ebenfalls etwas.
>> Guten Morgen. <<
erwiderte sie freundlich.

Ihr Schockzustand war weg.

Genika setzte sich neben sie.
>> Wie geht es dir? <<
fragte sie besorgt.

Lenta überlegte kurz.
>> Auf jeden Fall besser.
Ich spüre jetzt zwar die ganzen blauen Flecken und meinen
Arm, aber ansonsten geht es mir gut. <<
meinte sie.

Námo nickte nachdenklich.

Das klang eigentlich nicht traumatisiert...
Aber wie sollte sie es geschafft haben, in der kurzen Zeit
von gestern bis heute darüber hinwegzukommen?
Es sei denn, es war gar nicht so schlimm gewesen - so
hatte es aber nicht geklungen.

Er seufzte.
Wahrscheinlich deutete er einfach viel zu viel hinein.
Immerhin konnte auch sein, dass sie es absichtlich verdrängt
hatte oder so etwas...er kannte sich damit nicht aus.

Genika schwieg kurz.

>> Weißt du noch..
was in der Nacht passiert ist? <<

Lentas schwaches Lächeln schwand.
Man sah ihr an, dass sie es ganz genau wusste.
>> Ja... alles. <<

Sie musterte Genika und Namó kurz.
>> Aber ich möchte euch nicht länger damit eine
Bürde sein.
Ihr habt mir so sehr geholfen. <<

Námo runzelte die Stirn.

"Du bist keine Bürde", erklärte er ihr dann.
Ohne es noch weiter zu kommentieren, ließ
er es einfach im Raum stehen.

Lenta lächelte.

>> Das ist lieb. <<


>> Und du bist dir wirklich sicher, dass dieses
Haus besessen ist? Und der Rest deiner Klasse auch? <<

Lenta nickte überzeugt.

>> Ich weiß, es klingt völlig unglaublich.
Aber es ist wirklich so gewesen.

Wenn es Magie gibt, dann... dann ist das doch nicht
so unwahrscheinlich, oder? <<

Da musste Genika Lenta zustimmen.
Aber.. sie wollte es immernoch nicht glauben.

Aber...woher kommt das so plötzlich?,
fragte sich Námo. Es konnte doch nicht einfach so etwas auftauchen,
dafür sorgen, dass eine Klasse und ein ganzes Gebäude besessen
waren und niemand merkte etwas davon.

War er wirklich so unaufmerksam gewesen? Seine Aufgabe bestand
doch darin, sämtliche Gefahren um Genika herum zu erkennen und
unschädlich zu machen...hatte er versagt?

Lenta sah sich um.

>> Wie spät ist es eigentlich? <<
fragte sie etwas besorgt.

>> Keine Angst, wir haben noch eine anderthalb Stunde Zeit, bis
wir zur Schule aufbrechen können. <<
meinte Genika lächelnd.

>> Oh, okay.
Kann ich kurz in das Badezimer gehen? <<

>> Ja, natürlich.
Ich will mir dann gleich deine Wunde am Arm ansehen. <<
meinte Genika.

Námo lehnte sich derweil dekorativ an die Wand.

Mit Behandlungen hatte er nichts am Hut und es
sah so aus, als müsste Genika im Moment vor
nichts beschützt werden.
Er hatte also gerade frei.

Nachdem Lenta nach Hause zu sich gelaufen war, um die wichtigsten
Dinge zu holen, gingen die drei schließlich über die Straße
zu ihrer neuen Schule.

Dabei gingen sie an ihrem alten Schulgebäude vorbei.
Es war, abgesehen von wenigen Grüppchen, die sich zum gemeinsamen
Betreten der neuen Schule sammelten, leer.

Genika empfand es als ein seltsames Gefühl, nichtmehr in diese
Schule zu gehen.
Sie war jedoch unglaublich gespannt, wie die neuen Schüler waren.

Angeblich sollten auch welche aus Benigner und Nigras gewechselt sein.
Sie war wirklich neugierig, wie die neue, große Mischung aussehen würde.

Auch Námo fragte sich, wie das jetzt werden würde, wo sie viel
mehr Schüler waren.

Ob es einige der Feinde des Lichtvolkes neu dazugekommen
waren und sie jetzt aus der Nähe bedrohten?
Ob die Zickenclique neue Mitglieder bekam?
Ob es neue Engel, vielleicht sogar Schutzengel gab?
Ob es Leute gab, mit denen er sich anfreunden konnte?

Wer wusste das schon...

Lenta fragte sich schon die ganze Zeit, was sie nun erwarten würde.

Ob sie die anderen wohl antreffen würde..
und das alles ein schlechter Scherz gewesen war?

Einerseits hoffte sie es, andererseits glaubte sie nicht.

Dann würde der Schnitt an ihrem Arm ihr nämlich beweisen, dass
die Zicken zu noch grausameren Taten fähig waren als sie dachte...

Námo hoffte auch, dass die anderen, die mit Lenta in dem Haus gewesen
waren, dort sein würden.

Aber Lenta hatte so überzeugt geklungen...und was für einen Grund
hätte sie gehabt, sich das alles auszudenken oder einzubilden?

Als sie vor der neuen Schule ankamen, blickte Genika beeindruckt an ihr
empor.

Die Schulleiterin hatte sich wirklich alle Mühe gegeben und dieses Schloss auf
Hochglanz gebracht.

Sie hatte es jedoch viel kleiner in Erinnerung.
Anscheinend musste es nun denselben Zauber haben wie auch Nigras und Benigner.

Es war umwerfend.

Überall gingen nun Schüler durch die Gegend.
Welche, die sie kannte und ganz neue Gesichter.

Auch Námo stand für einen Moment einfach da und starrte.

Was diese Zauber so alles ausrichten konnten...
Da war jemand bestimmt sehr erschöpft.

Plötzlich schubste ihn jemand leicht von hinten.


Die beiden Mädchen merkten es nicht, da sie zu beschäftigt waren,
das Werk der Schulleiterin zu bestaunen.