Die Medietra-Wälder

Selin boxte ihm in die Seite.

>> Roll nicht so mit deinen Augen! <<
schimpfte sie.

>> Was denkst du dir eigentlich dabei?!
Denkst du, ich renne dir einfach so hinterher und lege mich auf
dein Geheiß hin, damit du was weiß ich mit mir machen kannst?!
Idiot! <<
grollte sie in ihrem Furientemperament und sah ihn mit glühender Wut an.


Tyrinia nahm seine unterschwellige Botschaft wahr und atmete entnervt ein.

Heute war kein guter Tag für sie.

Sie stemmte die Hand in die Hüfte und sah auf Riyad nieder.


>> Dieser Tag ist auch nicht zum Bummeln geeignet.
Du willst bestimmt so schnell wie ich wieder zurück. <<

Nekir wirkte, als würde er kurz überlegen.

"Das klingt wirklich toll. Fängst du gleich an?"



Riyad wandte sich zu ihr um und ging los.

"Wie recht du doch hast. Komm schon, wir haben
nicht den ganzen Tag Zeit."

Selin verdrehte die Augen und versetzte ihm einen Schlag.

>> Bestimmt nicht! <<

Dann schien nachzudenken.

>> Du könntest dich ja zur Abwechslung mal mir unterwerfen!

Jetzt nicht, aber später. <<
schlug sie mit einem teuflischen Grinsen vor.


Tyrinia sah ihn kurz schweigend an und folgte ihm dann.

>> Ganz ehrlich: Was machst du eigentlich mit deinen
Kräften? <<

Nekir grinste sie lüstern an.

"Ich wusste gar nicht, dass du auf so etwas stehst",
sagte er mit einer ungewöhnlich tiefen Stimme.



"Keine Brücken bauen", gab Riyad zurück.
"Und ich sehe dich nicht helfen."

Seine Stimme ließ warme und Schauer in Selins Körper entstehen.
An Stellen, an denen sie sie nicht gerade haben wollte.

Selin neigte den Kopf kurz zur Seite und runzelte mies gelaunt die Stirn, um
das blöde Gefühl loszuwerden.

>> Es würde mir mehr Macht verschaffen. <<
setzte sie hinzu.


>> Weil meine Fähigkeiten nicht zum Materialisieren von Brücken
da sind.

Oder sollte ich dir etwa helfen, deine Fähigkeiten zu verbessern? <<
fragte sie amüsiert.

>> Wenn es um das Eis geht, kann ich das nicht. <<

Sie sah sich derweil nach besseren Stellen an der Klippe um, die ihnen
ein Passieren ermöglichen konnten.

"Solange du mitmachst..."

Nekir zuckte mit den Schultern.

Solange er bekam, was er wollte...



"Du könntest die Schlucht enger machen,
oder den Tag kälter", schlug Riyad vor.
"Oder einen großen Baumstamm rüberschieben,
das geht auch."

Selin musterte ihn amüsiert.

>> Dir ist alles recht, nicht wahr?

Sei ehrlich. Du willst mich doch nur die ganze Zeit
flachlegen, nicht wahr?

Ist es mein Körper, den du so begehrst? <<

Sie legte bei der Frage die Hand auf ihre Brust, um ihre Frage zu verdeutlichen.
Ihre Augen musterten seine eindringlich.


Tyrinia schien unberührt von den Vorschlägen.
Sie führten zu nichts.

Bei dem Baumstamm horchte sie auf.

>> Bist du entgegen deines Erscheinungsbildes kräftig? <<
fragte sie ihn auf einmal.

Sie hatte eine Verengung der Klippe entdeckt.

"Du musst zugeben, er ist sehr begehrenswert",
grinste Nekir.

"Vor allem so, wie du ihn trägst..."



Riyad folgte ihrem Blick.

"Du hast eine seltsame Art, Komplimente zu machen",
stellte er fest und schätzte den Abstand kurz ein.

"Und um auf dieser Strecke zu halten, muss das Eis
nicht mehrere Meter dick sein..."

Für einen kurzen Moment wirkte sein Blick abwesend
und er ging im Geiste durch, ob er dort eine Brücke
in einer machbaren Dicke und Konstruktionsart, ohne
Pfeiler zum Boden, schaffen konnte.

Selin zeigte ein leichtes Lächeln.

>> Oh, danke, Nekir. <<

Dann kam sie näher.

Ihre Hand glitt langsam an seinem Oberkörper runter.
>> Dein Körper ist auch wirklich umwerfend.
Ich mochte deinen starken Körperbau schon immer.

Du weißt ja garnicht, wie entwaffnend allein der Anblick deiner breiten Schultern sein kann. <<
flüsterte sie leise.

Dann entfernte sie sich jedoch plötzlich.

>> Aber das ist mir nicht genug! Wir gehen zurück. <<
meinte sie mit einem eiskalten Lächeln, drehte sich auf dem Absatz um und
ging wieder in die Richtung der Klippe.



Tyrinia beobachtete ihn beim Nachdenken.

>> Wir können auch einfach einen Baumstamm über die Klippe befördern,
wenn dir das zu anstrengend ist. <<
schlug sie amüsiert vor.

Hinter ihr begann Nekir plötzlich zu lachen.

"Du bist eine echte Schäkerin!"




Riyad drehte sich zu ihr um.

"Es ist wirklich nicht nötig, ihn rüberzuwerfen -
ich glaube, die zwei anderen werden sich auch
nicht die Mühe machen, daraus eine Brücke zu
bauen."

Abermals zuckten seine Mundwinkel, während
er sich wieder umdrehte, an den Rand der Klippe
trat und eine Hand auf den Boden direkt neben
der Kante legte.

Eine dünne Eisschicht breitete sich sofort auf dem
Gras aus und setzte sich schnell über den Abgrund
fort.
Sobald die andere Seite erreicht war, wurde das Eis
immer dicker. Einige Pfeiler wuchsen heraus und
gruben sich in die Schluchtwände, um die Brücke
zu stabilisieren.

Als Riyad sich wieder erhob, war die Brücke vollständig.
Er hatte sogar daran gedacht, das Eis an der Oberfläche
ein wenig anzurauhen, damit sie nicht hinunterrutschen
würden.

Selin sah über ihre Schulter und streckte ihm die Zunge raus.

>> Ja, das bin ich.
Und es macht Spaß! <<



Tyrinia beobachtete es interessiert und nickte dann anerkennend.

>> Sieh einer an. Du kannst es ja doch. <<

Nekir grinste noch immer.

"Das merke ich..."



Riyad rollte mit den Augen.

"Und du nicht. Kommst du jetzt rüber?"

Mit diesen Worten betrat er die Brücke.

>> Kommst du jetzt, großer Wolf? <<
meinte Selin amüsiert.

Sie war erleichtert, dass sie es noch hatte abwenden können, ihm wieder zu
verfallen.


Tyrinia lächelte.
>> Schön, dass es dir endlich aufgefallen ist. <<
kommentierte sie das nur und betrat hinter ihm die Brücke.

Erst vorsichtig. Denn man konnte nunmal niemandem in dieser Welt ganz vertrauen.

Nekir verneigte sich galant.

"Aber sicher doch - was immer Euch gefällt."



Ohne sich umzudrehen, kommentierte Riyad:
"Die Brücke sollte auch auf unserem Rückweg
noch begehbar sein."

Selin klopfte leicht gegen ihren Oberschenkel.

>> Dann lass uns gehen!

Tyrinia und Riyad hauen uns noch ab.
Die zwei sind mir nicht geheuer zusammen. <<



Tyrinia sah sehr zufrieden aus.

>> Es hat doch etwas gebracht, dass ich mich auf deinen
Schoß gesetzt habe. Du bist garnicht so unnütz wie ich dachte. <<
meinte sie ehr zu sich selbst.

Bei ihrer Geste wurde Nekirs Grinsen breiter.

Im nächsten Moment war er ein Wolf und lief
gehorsam auf Selin zu.




Ohne auch nur für die Dauer eines Herzschlages zu zögern,
fügte Riyad hinzu:
"Sie könnte aber auch spontan unter deinen Füßen zusammenbrechen."

Selin grinste, beugte sich vor und schlug auf ihre Oberschenkel.
So als würde sie einen kleinen Hund zu sich rufen.

>> Komm her zu mir! <<
rief sie ihn in ungewohnt freundlicher Manier und legte ein ganz begeistertes
Gesicht auf -ebenfalls ungewohnt.


Tyrinina nickte.

>> Das habe ich mir so gedacht.
Es wird dir dann sowieso nur zwei Auswege geben.

Flucht auf Lebzeit oder der Tod.

Nicht durch mich. Weil mein Tod ja der Auslöser deines Dilemmas sein wird.

Oder ich reiße dich mit in den Tod auf meine Art. <<
erzählte sie munter los.

Ihrer Aufforderung gehorchend, rannte Nekir die letzten paar Schritte,
sprang an ihr hoch und leckte ihr über das Gesicht.

Wenn sie schon so danach fragte!




Riyad zuckte mit den Schultern.

"Nicht, dass du was davon hättest. Wenn man bedenkt, dass du durch
einen tragischen Unfall ums Leben gekommen bist."

Selin lachte kurz auf und musste sich eher darauf konzentrieren, nicht
durch seine kleine Attacke umzufallen.

>> Du Schleimer! Geh runter von mir! <<



Tyrinia lächelte unbeirrt.

>> Du bist zu gutgläubig.

Wer bitte würde dir den tragischen Unfall abkaufen?
Wir sind immer noch in Nigras.

Und dort würdest du zusammen mit den Hormonlechzern bestraft werden.

Natürlich würden die beiden sich dann zusammentun und gegen die wettern, da
du zu dem Zeitpunkt bei mir warst.
Und schwupps, ist dein Kopf ab. <<

Nekir gehorchte und stand nun fröhlich hechelnd vor ihr.



Riyad wandte sich zu ihr um und hob eine Augenbraue.

"Ich glaube, du hast da etwas vergessen.
Wenn du abstürzt, muss ich mich nur für eine Weile von
Nigras fernhalten. Du bist tot. Wer hat das bessere Los?"

Selin beugte sich runter und strich ihm kurz über den Kopf.

>> Braves Kerlchen!
Und jetzt machen wir einen Spaziergang! <<

Sie ging los.

>> Na, komm! <<


Tyrinia lächelte.
Er wäre auch nicht lebend rausgekommen. Aber das verschwieg sie ihm.

>> Ich. Weil ich dich dann nicht ertragen müsste. <<

Sie legte beide Hände auf seine Schultern und drehte ihn wieder um.

Ihrer Meinung nach waren sie schon viel zu lange auf dieser Eisbrücke und das
Gebirge war immernoch nicht näher gerückt!

>> Und all die anderen Nieten.

Sie alle zu unterjochen, wäre so viel Arbeit! <<

Fröhlich hechelnd folgte Nekir ihr.

Er mochte auch die Tatsache, dass sie oft einen Rock trug...
Aber jetzt musste es natürlich eine Hose sein.



Riyad schüttelte lediglich den Kopf.

Als sie ihn umdrehte, unterdrückte er schnell eine für sie
eher unangenehme Reaktion und ließ es geschehen.

"Kriegst du davon keine Kopfschmerzen?"

Selin führte ihn wieder zu der Klippe.


Die Rucksäcke waren bestimmt noch dort.



Tyrinia musterte die Gegend.

>> Wovon? <<

Als sie sich der Klippe nährten, versteckte sich Nekir unauffällig hinter Selin.

Er wollte noch nicht sterben...!



Riyad zuckte mit den Schultern und führte sie nach einem kurzen Blick auf
die Karte weiter.

"Von deinem Ego. Es wundert mich wirklich, dass dir davon nicht der Kopf
platzt."

Selin sah sich nach den Beiden um, konnte sie aber nicht entdecken.

>> Sie sind anscheinend ohne uns weitergegangen. <<
meinte sie.

Dann merkte sie, dass Nekir hinter ihr war und schnalzte mit der Zunge.

>> Feigling. <<

Schnell flog sie rüber und holte beide Rücksäcke.
Eben so schnell war sie wieder bei dem tierischen Feigling.


Tyrinia zog einen Mundwinkel hoch.
>> Nein, ich habe bis jetzt eher das Gefühl gehabt, dass mein
Ego mich beflügelt.

Nett, dass du dich um mich und mein Ego sorgst. <<
gab sie mit einem sarkastischen Ton zurück.

Nekir grinste ein Hundegrinsen und verwandelte sich wieder zurück.

"Feiglinge leben länger", kommentierte er.



Riyad zuckte mit den Schultern.

"Es ist weniger das...ich will die Sauerei nur nicht wegmachen müssen.
Aber es ist gut zu wissen, dass dein Opfer nicht umsonst war."

>> Und langweiliger. <<
kommentierte Selin zurück und schulterte ihren Rucksack.

>> Jetzt müssen wir sie auch noch finden.
Sie haben sich wahrscheinlich eine bessere Stelle an der Klippe gesucht.



>> Schon interessant, was durch deinen Kopf geht.

Und naiv. <<
kommentierte Tyrinia das nur.

Nekir zuckte mit den Schultern, grinste und war
plötzlich wieder ein Selin folgender Wolf.

Sie schien seine Wolfsform lieber zu mögen als
die andere.

Was sich da für Möglichkeiten auftaten...




Riyad zuckte mit den Schultern.

"Wenn du das meinst", stimmte er ihr beinahe freundlich zu.

>> Hey, du kannst sie bestimmt erschnüffeln.

Dann bist du für uns beide von Nutzen. <<


Tyrinia hörte ihm garnicht mehr zu.

Sie hatte ihr Augenmerk auf das entfernte Gebirge gerichtet.

Aus den Tiefen zogen schwache, kaum sichtbare Rauschwaden empor.

Sie runzelte kaum merkbar die Stirn.

Dann schätzte sie die Entfernung und sah auf ihre Armbanduhr.

>> Wir sind zu langsam. Kein Wunder. <<

Interessanter neuer Ansatz, mir die nächste Strafe zu geben, Mistkerl.

Nekir blickte Selin an, als hätte sie den Verstand verloren,
dann zur anderen Seite, dann wieder zurück zu Selin.

Sie waren auf der anderen Seite entlanggekommen.
Wie sollte er sie hier riechen?



Riyad rollte mit den Augen.

Dieses verwöhnte Balg! Es konnte eben nicht immer alles klappen.