Das Reichenviertel der Stadt

Das Reichenviertel der Stadt ist sehr weitälufig und erstreckt
sich durch manche Besitztümer bis in den Wald.

Hier leben viele der Reichen und Mächtigen.

Doch es ist keineswegs ein Viertel, wo alle auf einem Fleck zusammengepfercht
wohnen, sondern eine riesige Siedlung, wenn man es denn so nennen kann,
die aus riesigen Ländereien der verschiedenen Bewohner besteht, deren
Anwesen wiederum irgendwo auf diesen Ländereien stehen.

Alles ist ganz im Stil Estaryas.
Eine Stadt, die aus Eis zu bestehen scheint...

Der Wind peitschte ihnen gegen die Gesichter.
Es war schwer, sich vor den eindreschenden Schneemassen zu schützen,
selbst mit runtergezogenen Kapuzen.

Ciara und Renna versuchten, so gut es ging, in diesem unerbittlichen Sturm
voranzukommen, der die beiden ohne Vorwarnung getroffen hatte.

Es war beinahe unmöglich, etwas anderes als die schier endlose weiße Mauer
zu sehen.

Renna hielt sich die Kapuze mit beiden Händen, so heftig drosch der Sturm auf sie beide ein.

Ciara neben ihr keuchte angestrent vom Ankämpfen gegen den Sturm.
>> Es ist, als wolle jemand allein mit dem Schnee unsere Stadt dem Erdboden
gleich machen. <<
brachte sie mühselig hervor.

Renna nickte unter ihrer Kapuze zustimmend, was Ciara nicht sehen, aber erahnen konnte.
>> Das sind wir ja schon gewohnt. <<
gab sie mit einem amüsiert-bitteren Lächeln zurück.

Ciara grinste. Wie Recht sie hatte.

Natasha stapfte ebenfalls durch den Sturm.

Wie kalt konnte es hier eigentlich werden? Sie war schon
jetzt nicht begeistert, dass sie ihr Kleid gegen warme
Kleidung und einen dicken Mantel hatte eintauschen müssen.

Und dann auch noch dieser plötzliche Sturm!

>> Ganz ehrlich. Wir hätten jetzt Lyra gebraucht! <<
stöhnte Renna wehmütig auf.

>> Ja, das stimmt. Aber sie verbringt ihre Zeit jetzt lieber mit diesem
muskelbepackten Rotschopf. <<
meinte Ciara mit einem amüsierten Lächeln.
>> Sie scheint ihn zu mögen, denn ich hab mitbekommen, dass sie ihn
mit zu sich nach Hause genommen hat.
Und das macht sie niemals.
Da scheint sich etwas Heißes anzubahnen. <<

Renna lachte kurz auf.

>> Sie hätten uns den Schnee wegschmelzen können! <<

Ciara grinste.
Dann bemerkte sie eine ferne Gestalt im Schatten und verengte misstrauisch die
Augen.
>> Da ist jemand. <<

Renna sah irritiert unter ihrer Kapuze hervor und versuchte, etwas zu erkennen.

Natasha hatte ihrerseits die beiden anderen Mädchen noch
nicht bemerkt - der Sturm war zu laut und ihre Augen noch
nicht an den hellen Schnee gewöhnt.

Für einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie ihre Fähigkeiten
einsetzen sollte, um den Schnee zu bewegen.
Doch so, wie es aussah, würde es wohl enden wie ihr Versuch,
Wasser zu bewegen.
Ein kleiner Tropfen würde sich für einen Moment verändern und
sie mit ewigen Kopfschmerzen zurücklassen.

Ciara erkannte, dass es sich definitiv um ein Mädchen handelte,
als sie Natasha näherkommen sah.

>> Es scheint eine neue Schülerin zu sein.
Ich kenne sie nicht. <<
murmelte Ciara und taxierte Natasha sofort.

Renna seufzte.
Wie konnte Ciara nur so gut sehen durch diesen Schneesturm.

Sie sah nur eine schemenhafte Gestalt.

Die beiden standen im Windschutz eines großen Baumes und versuchten,
zu erkennen, wer so mutig - oder naiv- war, mitten in einem von Estaryas
berüchtigten Schneestürmen alleine durch die Straßen zu wandern.

Natasha blickte ein wenig auf und entdeckte ebenfalls
einen Schemen - den des Baumes.

Windschutz, dachte sie sofort erleichtert und machte
sich dorthin auf den Weg.

>> Dass der Wind sie nicht wegfegt! <<
schmunzelte Ciara.

>> Sie ist von so einer ähnlichen Art wie du. <<

>> Was soll das denn jetzt heißen? <<
fragte Renna gereizt.

Ciara lächelte weiterhin amüsiert vor sich hin und wartete auf das Mädchen.

Sie hatte bemerkt, dass Natasha auf sie zukaum. Oder besser auf den Baum.

Renna atmete tief ein.
Ciara sah aus den Augenwinkeln zu ihr.

>> Du bist mir ja ein Nervenbündel. Dass du dir immernoch keinen Freund gesucht hast,
der es dir so richtig... <<

>> Ciara! Ernsthaft. Hör auf damit. <<
knurrte Renna. Rot im Gesicht.
Ob aus Wut oder Verlegenheit war bei ihrem Ausdruck schwer zu sagen.

Stattdessen wandte sie sich mit bockigem Gesicht dem Schemen zu, der
auf sie beide zukam.

>> Ich sags dir... irgendwann kommt jemand, der wird dir die Sprache verschlagen. <<

>> Davon will ich nichts hö-ören! <<
fuhr Renna ihr ins Wort.

Langsam hörte Natasha auch die zwei Stimmen unter dem Baum.

Doch auch wenn da Leute waren - das würde sie nicht davon
abhalten können, Schutz zu suchen!

>> Von der Gangart her könnte es sich um zukünftige Verstärkung handeln. <<
flüsterte Ciara Renna zu.

Sie war sich bewusst, dass Natasha nun in Hörweite war.
Doch das musste sie noch nicht mitkriegen.

>> Wir werden sehen. <<
meinte Renna dazu.

Die beiden taten so, als hätten sie Natasha nicht die ganze Zeit beobachtet.

Nun gesellte sich Natasha zu ihnen.
Hier unter dem Baum war es wirklich geschützter,
wie sie erfreut feststellte.

Sie nickte den beiden Mädchen, die bereits hier
gewesen waren, kurz und knapp zu.

Während Ciara freundlich lächelte, regte sich in Rennas Gesicht nichts.

Sie musterte Natasha einfach nur.

Das hatte sie nicht erwartet.

Ciara merkte nichts davon und lehnte sich gegen den Baum.

>> Die beste Entscheidung, die du gerade treffen konntest. <<
meinte sie zu Natasha.

>> Der Sturm scheint seinen Höhepunkt anzulaufen.
Er kam heute schneller als erwartet. <<

Nathasha wandte sich Ciara zu.

Die beiden anderen Mädchen schienen in Ordnung zu sein.

"Das heißt, so etwas ist nicht normal?", fragte sie und war
ein wenig erleichtert.

Sie wollte nicht allzu lange in einem Blizzard leben.

Ciara zog sich ihre Kapuze zurecht.

>> Sagen wir, normalerweise wissen wir früher Bescheid, wenn
so eine Bombe auf uns zukommt.
Heute wurden wir überraschend spät gewarnt. <<
erklärte sie.

>> Du bist neu in Estarya, richtig? <<

"Ja, das stimmt", bestätigte Natasha.


"Und ihr seid schon alteingesessen?"

>> Ja, das umschreibt es wohl am besten. <<
meinte Ciara amüsiert.

>> Ich bin übrigens Ciara. Cheerleading-Kapitänin, falls du dich
meiner Mannschaft anschließen möchtest. <<
fügte sie mit einem Zwinkern hinzu.

Sie reichte Natasha die Hand.

Natasha ergriff sie.

"Ich bin Natasha. Danke für das Angebot,
ich denke darüber nach!"

>> Das solltest du auch!
Du scheinst eine sportliche Figur zu haben, wenn ich das so unter dem Mantel
erkennen kann. <<

Renna hinter ihr seufzte angenervt.
Sie fing schonwieder an.

Um Natasha schlimmere Unannehmlichkeiten zu ersparen schob sie Ciara etwas
nach hinten.

>> Lass dich garnicht erst auf "so" ein Gespräch mit ihr ein.
Ich bin übrigens Renna. <<
meinte sie kurz dazu.

>> Wir sind ja plötzlich so wortkarg geworden, Prinzesschen.
Hat´s dir die Sprache verschlagen? <<
neckte Ciara sie leise, als sie ihre Freundin kurz gemustert hatte.

Renna warf ihr einen giftigen Blick zu, bemühte sich dann aber, wieder an
Fassung zu gewinnen.

>> Der Sturm wird schlimmer werden. <<
gab sie dann zu Bedenken und wechselte das Thema.

>> Hm, du hast Recht.
Natasha, wohin wolltest du denn?
Es wird schwer sein, in diesem Sturm allzu weit zu kommen. <<
erklärte Ciara mit einem freundlichen Lächeln.

Renna bedachte Ciara mit einem kurzen, misstrauischen Seitenblick.
Sie führte etwas im Schilde.

"Ich bin gerade erst angekommen und wollte mich ein
wenig umsehen", gab Natasha zur Antwort.

Der Sturm hatte sie völlig überrascht.

Auch Renna wurde nun unauffällig gemustert.

Ciara nickte lächelnd.

>> Estarya ist eine der schönsten Städte!
Nur leider ist der Sturm ein Hindernis.
Weißt du was, wir werden dich rumführen, wenn alles sich beruhigt hat.

Aber jetzt müssen wir erstmal einen richtigen Unterschlupf finden. <<

Renna lehnte mit verschränkten Armen vor der Brust am Baum und schien sehr überengagiert Löcher in die Luft zu starren.

Ihr Blick rutschte unauffällig zu Natasha.
Als sich ihre Blicke begegneten, schien Renna kurz zusammenzuzucken und sah sofort
wieder mit gerunzelter Stirn in den Schneesturm.

Ciara bemerkte einen leichten Rotschimmer auf Rennas Wangen.
Doch den hatten sie alle durch die Kälte, sodass sie es als Zeichen sah,
die Initiative zu ergreifen.

Sie hatte nichts von dem kurzen Blickwechsel mitbekommen.

>> Es wäre das Beste, wenn wir dich mitnehmen, Natasha.
Bevor du dich verirrst und erfrierst, ist es doch besser im Warmen mit einer
überaus reizenden Gesellschaft auszuharren! <<
witzelte Ciara selbstbewusst.

Natasha lächelte.

"So ein Angebot könnte ich doch niemals ausschlagen!"

Ciara freute sich sichtlich.

Dann hatte sie Zeit, dieses Mädchen zu beleuchten.

Renna stieß sich von dem Baum ab.

>> Mein Zuhause ist hier in der Nähe.
Es wäre schlauer, wenn wir den kürzesten Weg wählen
und zu mir gehen. <<
schlug sie vor.

"Das klingt gut",
stellte Natasha fest.

Sie hatte bereits festgestellt, dass sie diese zwei Mädchen
eindeutig mochte.

Renna nickte.

>> Dann lasst uns durch diese weiße Mauer hindurchgehen. <<

>> Machen wir´s nach deiner Art, Renna.
Mit dem Kopf voran. <<
neckte Ciara und gebot ihr, voranzugehen.

Renna verzog das Gesicht und sah die kurz böse an.

>> Sagt die Richtige... <<
murmelte sie und watete voran durch den höher werdenden Schnee.

Natasha folgte ihnen.

Wieso genau war sie noch einmal hergekommen?
In diese durchgehend winterliche Gegend...

Nach einem kurzen, aber schwierigen Marsch kamen sie
vor einem großen Tor an.

Dahinter erstreckte sich die Gartenanlage bis zu einem Anwesen, das
in der Mitte thronte.

Alles war in weiß gehüllt.

Renna öffnete das Tor mit einiger Mühe und ließ die beiden durch.

>> Hier wären wir.
Nurnoch rein ins Haus und aus dieser Eiseskälte raus. <<

Natasha blickte ein wenig umher, während sie über das Grundstück stapften.

Das, was sie sehen konnte, erinnerte sie ein wenig an ihr Zuhause, bevor sie
hergekommen war.

Schließlich erreichten sie das Anwesen.

Renna öffnete die Tür und ließ Ciara und Natasha rein.

Kurz lauschte sie in die Stille hinein, die sie empfing.
Es war niemand da.

Der Flur war durchaus luxuriös gestaltet, doch nicht übertrieben
und endete in einer Treppe, die in die höheren Stöcke führte.


>> Ihr könnt eure Mäntel dort hinhängen. <<
meinte Renna mit einer Handbewegung und entledigte sich selbst ihres
Mantels und ihrer Schuhe.

Ciara sah sich ebenfalls kurz um.
So oft war sie garnicht bei Renna gewesen, fiel ihr dabei auf.

Natasha tat es Renna nach und zog ihren Mantel und ihre Schuhe
ebenfalls aus.

Dann sah sie sich ebenfalls ein wenig um.

Renna ging voran in das Wohnzimmer.

>> Ihr könnt euch auch setzen. <<
meinte sie, während sie auf die zwei wartete.

Ciara sah amüsiert aus, während sie Rennas typische -unnahbare-
Miene musterte.

>> Natürlich, meine Herrin. <<

Sie streckte Renna die Zunge aus und erntete einen erneuten
bösen Blick.

>> Du musst Renna entschuldigen. Sie ist manchmal etwas herrisch. <<
erklärte Ciara Natasha mit einem amüsierten Unterton.

Renna sah aus, als wäre sie kurz davor, Ciara den Kopf abzureißen.