Das Reichenviertel der Stadt

Natasha folgte ihr und musterte Renna dabei.

Und das wollte sie mit einem verletzten Bein
machen?

Renna sah sich kurz nach ihr um.

Sie wollte sichergehen, dass Natasha es auch über den Zaun geschafft hatte.
Es wäre unpraktisch, wenn die eben erst Gerettete nun wieder zum Retten war.


Schweigend ging sie wieder voran.

Natasha hatte es problemlos über den Zaun geschafft
und folgte Renna weiterhin.

Dabei sah sie sich um.

Das Grundstück von Ciaras Eltern war nicht im Geringsten so pompös
und luxuriös wie das von Renna, doch es war sehr sorgsam gepflegt und
hatte einfache, aber elegante Schittmuster, Möbel und Anlagen.

Das Haus war ebenfalls schlicht, aber dafür groß.

Renna sah kurz in die Garage und machte sich dann auf den Weg zum Eingang.

Natasha folgte ihr weiterhin und blickte ebenfalls in die Garage.

Waren sie schon da?

Dort stand ein großer Wagen, der große Ähnlichkeit mit einem
verbesserten Schneemobil hatte.


Renna klingelte zweimal kurz und einmal lang und wartete geduldig, während
sie Natasha beobachtete.

Natasha war erleichtert, dass nichts geschehen war, was sie
von einer Rückkehr abgehalten hätte.

Doch das zeigte sich nicht. Äußerlich wirkte sie so wie immer.

Lyra öffnete die Tür und schien erfreut über die sichere Ankunft der beiden.

>> Sehr gut. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, wo ihr seid. <<

>> Mh, es ist was dazwischen gekommen. <<
meinte Renna nur und ging dann rein.

Lyra sah Natasha an.

>> Ich bin Lyra. Willkommen zurück. <<
stellte sie sich mit einem Lächeln vor.

"Danke für die Rettungsaktion.
Ich bin Natasha, aber das weißt du wahrscheinlich schon."

Natasha musterte Lyra.
Sie wirkte recht interessant.

>> Du bist jetzt eine von uns.

Dann ist soetwas doch selbstverständlich. <<
meinte Lyra mit einem Zwinkern und führte sie in das Wohnzimmer.


Ciara lag halb über einem Sessel und trank gerade etwas.
Sie wirkte sehr erschöpft.

Fiona saß stirnrunzelnd bei ihr und begutachtete ihren Oberarm.


Ciara sah auf und schenkte den beiden Neuankömmlingen ein schwaches Lächeln.

>> Wie schön, dass ihr wohlauf seid. Sonst wäre der Mist umsonst gewesen. <<
meinte sie und genehmigte sich noch einen Schluck.

Renna ließ sich auf das Sofa sinken und sah auch kurz zu Ganymed.

>> Ihr seid ja doch noch alle am Leben. Dann scheint es geklappt zu haben.
Lassen sie uns jetzt in Ruhe? <<

>> So zumindest sind wie auseinandergegangen.
Aber wenn sie mindestens so gefuchst sind wie wir und er ihnen wieder
Geld anbietet, dann werden wir diese wohlwillkommene Gesellschaft bald
erneut hier antreffen können. <<
meinte Fiona mit einem Schulterzucken.

>> Ich schieße ihnen höchstpersönlich den Kopf ab, wenn sie es noch einmal wagen,
Hand an eine von uns zu legen. <<
knurrte Ciara wütend.

>> Allen. <<

Natasha sah sie überrascht an.

Sie wusste nicht, was unerwarteter war.
Dass sie so einfach eine von ihnen war...
oder die völlig ruhige angedrohte Gewalt.

Lyra sah Ciara kurz besorgt an und bot Natasha dann den Platz zwischen Ganymed
und Renna an.

>> Willst du etwas trinken? <<
fragte sie Natasha.

>> Ich habe noch etwas übrig. <<
meinte Ciara und winkte mit der Flasche neben ihr.

>> Nein, ich glaube nicht, dass sie dasselbe trinke will wie du,
meine Liebe. <<
meinte Lyra mit einem Zwinkern.

Ciara zuckte mit den Schultern und trank weiter.

Die ersten Sonnenstrahlen brachen durch die Wolkendecke über Estarya und
ließen die Stadt aus Eis den neuen Tag mit einem glitzernden Antlitz begrüßen.

Einige glitzernde Sonnenstrahlen stahlen sich an geschlossenen Rolläden vorbei
in einige Schlafzimmer.

Leonora wurde durch so einen glitzernden Einbrecher geweckt.
Angenervt rümpfte sie die Nase, als er die Dunkelheit durchbrach und ihr Gesicht kitzelte.

Sie stöhnte angenervt auf, als sich das Kitzeln nicht verflüchtigte und strich sich
noch im Halbschlaf mit dem Arm über das Gesicht.


Wie aus dem Nicht wurde sie von hinten umarmt und an einen warmen Körper gezogen.

Leo keuchte erschrocken auf.
Was war das denn jetzt?!?!?

>> Lass mich los! <<
meinte Leonora wütend und wehrte sich gegen den Griff.

Ein verwirrtes Seufzen erklang hinter ihr.

Plötzlich erinnerte sie sich auch wieder, was gewesen war.

>> Derdekia? <<
fragte sie, um ganz sicher zu gehen und drehte sich leicht in der Umarmung um.
Erleichtert seufzte sie auf, als es auch wirklich ihr Schutzengel war und nicht irgendein
nerviger Kerl wie Namó. 

Derdekia schien immernoch zu schlafen.

Die hat aber ein Kuschelbedürfnis...
stellte Leonora kopfschüttelnd fest und rutschte vorsichtig aus Derdekias Umarmung raus.
Ganz das Gegenteil von Leonora.

Dann verließ sie das Zimmer und begann, etwas zum Frühtstück zusammenzusuchen.

Es galt ja nun, drei Personen mehr als sich selbst zu versorgen.

Námo wurde von Geräuschen in der Küche geweckt.
Noch etwas verschlafen öffnete er die Augen und
blickte umher.

Im ersten Moment war er verwirrt - wo war er?
Doch dann erinnerte er sich daran, dass er die Nacht
in Leonoras Anwesen verbracht hatte.

Námo blickte zu dem Bett, in dem Genika geschlafen
hatte, doch es war bereits leer. War sie schon beim
Frühstück?

Er sprang auf und zog sich den Teil seiner Kleidung an,
den er am Abend zuvor losgeworden war. Dann machte
er sich auf den Weg zu den Geräuschen.

Leonora stand allein in der Küche und richtete den Tisch an.

Sie hatte sich schon umgezogen.


Sie sah Namó kommen, sagte aber nichts und deckte weiter.

Nach einer kurzen Pause des Schweigens hörten die beiden
ein fröhliches Summen.

Derdekia kam runter in ihrer fröhlich-strahlenden Art.

Sie schien sich auf die Schnelle nur eine Hose angezogen haben, denn
obenrum hatte sie außer Unterwäsche nichts.

Ihr schien es nichts auszumachen.

Leonora schüttelte den Kopf.
Sie verstand dieses Mädchen nicht.

Námo, als durchschnittliches männliches Wesen, wagte einen Blick.

Oder zwei.

Er mochte Derdekia immer mehr.

Derdekia zwinkerte ihm zu.

>> Morgen, Namó! <<

Sie setzte sich an den Tisch und knuddelte Leonora kurz, der das
sichtlich nicht passte.

>> Du weißt ja garnicht, wie oft ich dich geknuddelt habe. <<
schmunzelte Derdekia.

>> Warte... du hast micht mehr als einmal geknuddelt?
Ich glaub´s ja nicht!

Wärst du nicht mein Schutzengel, würde ich dich als Perversling abstempeln
und dich nicht in mein Bett lassen!
Das kann doch nicht wahr sein. <<
grummelte Leonora.

>> Aber du mochtest es so sehr.
Wie ein Teddy. <<

Leonora sah sie geschockt an und wurde leicht rot.

>> Okay, genug. I-ich habe hier was für euch.
Das ist alles, was ich bekommen konnte.

Wo ist dein Mauerblümchen, Namó? <<

Námo blickte bereits umher und war so abgelenkt, dass er nicht einmal
die Bezeichnung bemerkte.

"Ist sie nicht hier? Im Bett war sie nicht mehr."

Derdekia runzelte die Stirn.

>> Wenn sie nicht in deinem Zimmer war und auch nicht hier,
wo kann sie denn sonst sein? <<

Leonora seufzte.

>> Vielleicht ist sie einfach abgehauen, weil sie es nicht mit euch aushält. <<

Námo blickte sie böse an.

"Ich gehe sie suchen", verkündete er dann
und machte sich auf den Weg nach draußen.

Derdekia eilte ihm nach.

>> Soll ich dir helfen? <<


Leonora verdrehte die Augen.

>> In Unterwäsche? Ehrlich, Derdekia? <<

Das Mauerblümchen war wahrscheinlich einfach an einer Mauer kleben geblieben,
als es im Sturm nach Hause eilte.


Da fiel ihr auf dem Pult neben der Ausgangstür ein Zettel auf.

"Ich weiß nicht - wenn etwas passiert ist..."

Mit einem Blick auf Leonora verstummte Námo.

Derdekia sollte in einem solchen Fall ihren Schützling
nicht unbeaufsichtigt lassen.

Derdekia drehte sich ebenfalls kurz um.

Dann folgte sie Leonoras Blick und entdeckte ebenfalls den kleinen
Zettel.

Sie nahm ihn in die Hand und las kurz.

Dann gab sie ihn an Námo weiter.

Es tut mir leid, dass ich euch, ohne Bescheid zu geben,
verlassen habe.

Ich musste dringend nach Hause. Der Sturm hat sich schon gelegt,
also mache dir bitte keine Sorgen, dass mir etwas passieren könnte, Námo.

Ich kann auf mich aufpassen.

Genika

Námo überflog die Zeilen und murmelte dann etwas Unverständliches.

Dann straffte er den Rücken.

"Ich werde trotzdem nach ihr sehen", beharrte er darauf.
Immerhin musste er auch aufpassen, dass sie nicht wieder in einen
gefrorenen See fiel...

Derdekia nickte.

>> Eile hinter ihr her. <<
meinte sie mit einem Zwinkern.


>> Warte noch kurz! <<

Sie eilte zu Leonora an den Tisch, nahm etwas und drückte
Námo dann ein Brötchen in die Hand.

>> Damit du nicht verhungerst. <<

Námo lächelte sie an.

"Danke", sagte er schnell, dann war er
auch schon verschwunden.

Draußen breitete er die Flügel aus und
machte sich auf den Weg.

Derdekia sah ihm nach.

Dann verdrehte sie die Augen.

>> Grins nicht so böse, Leonora.
Dein süßes Gesicht verdient so etwas nicht. <<
tadelte sie Leonora, ohne sich umzudrehen.


Leonora schluckte überrascht am Essenstisch.

Es war schon eine Weile vergangen und Derdekia begann, unruhig durch
Leonoras Wohnzimmer zu tigern.


Leonora selbst saß entspannt auf dem Sofa und las in einem trockenen
Sachbuch.

Leicht gereizt sah sie auf, als Derdekia hinter ihr vorbeitigerte.

>> Derdekia, könntest du dich bitte hinsetzen oder draußen umherstreifen? <<


Derdekia blieb kurz stehen und seufzte dann.

>> Nein, ich habe ein ungutes Gefühl. <<

Leonora atmete tief ein.

>> Sag nicht, du denkst schonwieder an Námo und Genika!

Die kommen schon ohne dich zurecht.
Zumindest die Andeutung eines Engels tut es. <<
meinte Leonora schulterzuckend.

Derdekia setzte sich neben sie auf das Sofa.

>> Ich spüre etwas, das mir nicht gefällt. Und wir haben bis jetzt auch nichts von ihnen
gehört. <<
meinte sie stirnrunzelnd.

Leonora sah wieder auf ihr Sachbuch.
>> Wozu auch? Wir sind kein Ehepaar oder enge Freunde. <<

Den Seitenblick, den Derdekia ihr zuwarf, bemerkte sie nicht und fing wieder an,
zu lesen.

>> Nein, du musst die nur etwas Augenbrauen zusammenziehen, wenn
angsteinflößend sein willst und mehr, wenn du wütend bist. 
So. <<

Leonora machte es ihr vor.

Derdekia lächelte.

>> Hey!
So guckst du echt oft! <<

Leonora sah sie wütend an.
>> Konzentrier dich auf deine Mimik. Ich bin jetzt nicht wichtig! <<

Derdekia versuchte nun ebenfalls, angsteinflößend auszusehen.

Doch es sah eher aus, als würde sie gerade im Unterricht sitzen und nichts verstehen.

Leonora musste ein Grinsen unterdrücken.

>> Nein, nicht ganz. <<

Sie hielt ihr einen Handspiegel vor das Gesicht.

>> So nicht. <<