Die Stadt

Námo schüttelte den Kopf.

"Nein...aber ich hoffe, sie weiß jetzt,
dass das alles Lügen waren."

Leonora schüttelte den Kopf.

>> Sie weiß jetzt vielleicht, dass das nicht du gewesen bist und du sie nicht hasst.

Aber glaubt ja nicht, dass damit alles zu Ende ist.

Sie ist der Typ Mädchen, die nur nach einer guten Chance suchen, um sich mental
fertig zu machen in ihren Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen. <<


Derdekia sah irritiert an.
>> Woher weißt du das? <<

Leonora schwieg.
Weil ich diese Schwächen gezielt zu meiner Belustigung ausgenutzt habe.

"Nicht wichtig", stellte Námo fest.

"Was macht man dagegen?"

Hilfe suchend blickte er Leonora an.
Sie schien sich damit ja auszukennen.

Leonora sah ihn irritiert an.

Er suchte Hilfe bei IHR?

>> Ich mache diese Probleme und vertiefe sie!
Aber wie um Himmels Willen soll ich wissen, wie man sie wegmacht?! <<

Derdekia dachte nach.
>> Du bist eine Expertin in Gefühlsmanipulation.
Wenn es eine kann, dann du. <<
ermutigte sie Leo.

Leo überlegte.
>> Schlag ihr ins Gesicht. <<

Derdekia sah sie geschockt an.
>> Was? <<

Leo zuckte mit der Schulter.
>> Das wollte ich schon immer mal machen. <<

Hätten Blicke töten können, wäre Leonora nun ein
schwelendes Häufchen Asche auf dem Boden gewesen.

"Und willst du wissen, was ich schon lange mal machen
wollte?", knurrte er geradezu.

Leonoras kühler Blick erwiderte seinen glühenden Gegenpart.

Sie drehte sich "interessiert" in seine Richtung.

>> Lass mich raten.
Du würdest am liebsten sündigen und mich
umbringen.

Nein, du würdest mich am liebsten foltern und dann qualvoll töten, weil ich
deinen Schützling nun schon seit Jahren erniedrige und zu der Gruppe Personen
gehöre, die ihr schönes, gutes Herz verpesten und mit krankem Lachen treten. <<

Derdekia lehnte sich gegen den Kühlschrank und beobachtete die Szene ungläubig.

Was war nur aus ihrem Schützling geworden?

Auf Námos Gesicht breitete sich ein äußerst unengelhaftes
Lächeln aus. Es hätte vielmehr zu jemandem gepasst, der
diese Art des Daseins schon lange hinter sich gelassen hatte.

"Fast richtig. Ich würde dich am liebsten foltern und dann am
Leben lassen, damit ich es immer wieder machen kann. Und
zwar so lange, bis du dich bei Genika dafür entschuldigst,
dass du so ein gottverdammtes Miststück bist!"

Gegen Ende hin wurde er immer lauter. Um Genika jedoch nicht
zu wecken, machte er die Luft zwischen den zwei Räumen
in ihre Richtung schalldicht.

Leonoras Augen verengten sich ganz leicht.

Sie setzte sich etwas auf.

Derdekia hatte das Gefühl, dass ihr das alles tatsächlich Spaß machte.
Es war ein schreckliches Gefühl, das sich in ihrer Kehle breit machte.

>> Ja, Námo, du hast sogar Recht.

Ich bin ein gottverdammtes Miststück.

Aber ich werde mich garantiert nicht dafür entschuldigen.

Das Interessante dabei ist, dass Leute wie ihr sogar von solchen Menschen wie mir profitieren.

Was soll aus euch werden, wenn niemand da ist, der euch auf den Boden schmeißt, damit ihr
euch endlich zusammenreißt und aufsteht?

Die richtigen Bösen würden euch mit einem Wisch plattmachen, wenn ihr so mittelmäßig bleibt
wie ihr seid. <<

Sie schwieg kurz und strich sich dann durch das Haar.

>> Ja, ich bin ein gottverdammtes Miststück. Es macht mir Spaß und es ist
wohl auch nötig.

Entschuldigen muss ich mich für rein garnichts.
Wenn wir auf dieser Schiene fahren, dann solltet ihr euch sogar bei mir bedanken. <<
meinte sie entspannt und lächelte ein kaltes Lächeln.

>> Ganz ehrlich. Ich sehe den Sinn hinter all dem Gefühls- und Moralmist nicht.
Es behindert einen nur unnötig.
Genika liegt heulend im Bett und badet in Selbstmitleid.
Wem bringt das was? Es ist nur lästig und unnötig. <<

>> Du verstehst das nicht, Leo. <<
mischte Derdekia sich ein.

Leonora wandte sich ihr zu.
>> Wirklich, das tue ich nicht.
Und ich will es auch nicht.
Herangeschwafelte Gründe für ein schwammiges Weltbild
von oh so guten Herzen und der wahren großen Moral interessieren mich einen Dreck.

Vielleicht sollte euch jemand mal von eurem Plüschhimmel holen. <<
knurrte Leo.

Dann stand sie auf.
>> Ich würde sagen, dass es das vorerst war.

Wir gehen uns hier nur gegenseitig auf die Nerven. <<

"Das kannst du laut sagen..."

Námo fixierte Leonora mit einem Blick, der noch
mörderischer war als der vorige.

Leonora lächelte ihn an.

Derdekia traf eine schreckliche Erkenntnis, die das dunkle Gewicht ihres Dilemmas nurnoch verstärkte,
als sie in Leonoras Augen blickte.

Sie freut sich aufrichtig über seinen Hass.

>> Hoffentlich sehen wir uns nicht zu oft.
Seid nicht so hoffnungslos inkompetent.

Bis dann! <<

Mit diesen Worten verließ sie Derdekias Wohnung.

Derdekia hatte das Gefühl, innerlich zusammenzusacken zu einem
Haufen ehemaligen Körpers und zerschreddeter Seele.

Námo hingegen spürte den brennenden Wunsch, ihr
alles hinterherzuwerfen, was er in die Finger oder in
den Wind kriegen konnte.

"Womit hast du so einen Schützling verdient?", fragte
er Derdekia.

Derdekia ließ sich neben ihm auf den Stuhl fallen.

>> Ich verstehe das einfach nicht, Námo.

Wie konnte ich nicht spüren, dass sie sich verändert hat.

Ihr Herz war nicht dasselbe, als ich ihr Schutzengel wurde.
Es war ... <<

Ihr fehlten die Worte.
>> Sie hätte sich anders entwickeln müssen.
Ich verstehe einfach nicht, was passiert ist. <<
meinte sie verzweifelt.

>> Es ist als würde sie in einer anderen Welt sein.
Ich komme überhaupt nicht an sie ran, um den Grund dafür
zu erkennen geschweige denn sie wachzurütteln! <<

"Wir könnten ihre Idee für Genika bei ihr ausprobieren",
schlug Námo rachsüchtig vor.

Vielleicht nicht wirklich rachsüchtig, doch...ja,
rachsüchtig klang es eindeutig.

Derdekia bedachte ihn kurz mit einem Seitenblick und seufzte dann.

>> Ich glaube, sogar das wird sie nicht zur Vernunft bringen! <<

Es war eine verzweifelte Zwickmühle für Derdekia.

Ihre Aufgabe war es, Leonora zu beschützen.
Aber sie hatte darin versagt, das Essentielle an ihrem Schützling zu retten.

Am liebsten hätte Derdekia sich in Luft aufgeölst.

Nicht Námo war der Versager. Sie war es.

Doch sie ließ sich nicht einen Funken dieser Gedanken anmerken.

Stattdessen richtete sie sich auf.
>> Wir müssen erst einmal deine Genika aufpeppeln. <<

"Sie wollte sich erst mal ausruhen",
wandte er ein.

"Vielleicht lieber später."

Er schob Derdekia mit ein wenig Luftmanipulation
wieder zurück auf ihren Platz.

Derdekia ließ sich bereitwillig wieder auf den Hocker drücken.

Etwas durch den Wind strich sie sich das Haar aus dem Gesicht.

>> Oh, tut mir leid.
Das habe ich ganz vergessen. <<

Sie lachte etwas erschöpft.
>> Es war wohl etwas zu viel auf einmal für uns. <<

Námo grinste schief.

"Das kannst du laut sagen",
stimmte er ihr zu und fügte dann schnell hinzu:
"Aber nicht zu laut!"

Derdekia lächelte amüsiert.

>> Sag mal, Námo.
Was macht man hier eigentlich um sich zu unterhalte und
dabei die Strapazen des Tages zu vergessen? <<

Sie schwie kurz und suchte nach Worten.
>> Ich dachte mir... vielleicht könnten wir so etwas machen,
wenn Genika wieder aufgewacht und einigermaßen erholt ist. <<

Námo grinste und zuckte mit den Schultern.

"Man geht in eine Bar - oder eine Karaokebar -
und lässt den Alkohol spielen", erklärte er ihr.

Derdekia überlegte kurz.

>> Wollen wir das heute machen? <<
fragte sie lächelnd.

Námos Augenbrauen schossen so weit in die Höhe, dass er
das Gefühl hatte, sie seien gar nicht mehr in seinem Gesicht.

Derdekia wollte in eine Bar gehen und sich betrinken?

"Warum nicht", brachte er schließlich hervor, ohne bei dem
Bild, das sich seinem inneren Auge bot, loszuprusten.

Er war sehr stolz auf sich. Das hatte ihn sicherlich einige
Rippen gekostet.

Derdekia verstand Námos Belustigung zwar nicht, aber
sie freute sich dennoch mit ihm, weil sie auch erleichtert war,
dass es hier so etwas wie Ablenkung gab.

Námo dachte noch einmal an eine betrunkene Derdekia.
Und schon wieder war er damit beschäftigt, das Lachen
zu unterdrücken. Es war einfach einfach...es ging nicht!

Seine Flügel zuckten dabei kräftig.

Derdekia sah ihn aufmerksam an.

Litt er vielleicht unter Folgen der kurzen Unterkühlung?

>> Námo, soll ich dir irgendwie helfen? <<

Námo brachte es fertig, das Lachen nun völlig zu bekämpfen
und blickte Derdekia verwundert an.

"Wieso, was meinst du? Wobei?"

>> Du hast gerade so seltsam gezuckt.

Ich dachte, es geht dir nicht gut. <<
meinte Derdekia und deutete auf seine Brust.

Und wieder grinste Námo breit.

"Nein, keine Sorge. Alles ist in Ordnung."

Derdekia legte den Kopf leicht zur Seite.

>> Warum grinst du?

Habe ich das falsch verstanden?
Bist du verwirrt? Bin ich verwirrt? <<

Sie war zunehmend verwirrt.

"Du bist verwirrt", stellte Námo fest.

"Ignoriere es, bis es weggeht."

>> Dein Zucken oder meine Verwirrung?

Am besten wohl beides, nicht? <<
dachte Derdekia laut nach.