Das gute/helle Viertel

>> Das ist auch gut so.

Das braucht Zeit. <<
meinte Grace und verzog kurz das Gesicht.

>> Hast du Gesichtszuckungen? <<
fragte Felicia amüsiert.

Ihr Blick ging aber zu Grace' Arm.




Rita sah Adeline überrascht und dann leicht gequält an.

>> Oh, hallo.

Ich... war gerade auf dem Weg ... woanders hin. <<

Dann fiel ihr auf, dass sie aussah als wäre sie aus einem Massaker entsprungen.

Und nun hatte sie auch noch zwei weitere, schwere Verletzungen.

So unauffällig wie möglich zog sie ihre Kleidung enger.

>> Eigentlich wollte ich nur fragen, ob ich kurz bei dir telefonieren kann.

Ich habe mein Handy verloren. <<

Auch Raphael musterte sie nun wieder wachsam.

Langsam merkte er, dass er seine Müdigkeit fernhalten
musste, doch noch war es einfach.




Ohne sie überhaupt ausreden zu lassen, hatte Adeline
Rita schon hochgehoben und trug sie nun zurück zur Tür.

"So kann ich dich doch nicht draußen rumlaufen lassen!",
kommentierte sie und brachte sie hinein.

Grace bemerkte die Blicke der beiden und blickte fragend zurück.

Dann sah sie auf ihren Arm.

>> Oh. Meinem Arm geht es schon besser. <<

Als Beweis, da ihrem fröhlichen Lächeln wohl keiner im Raum zu glauben schien
(Grace hatte die Angewohnheit, auch in schlimmsten Schmerzen Lächeln
zu können, damit niemand sich schlecht fühlte.), legte sie ihren verletzten Arm frei.

Die Wunde war zwar nicht schön, aber von einer Vergiftung war keine Spur.

Felicia lächelte erleichtert.

>> Großartig! <<



Rita keuchte erschrocken auf und versuchte verwirrt, Widerstand zu leisten.

>> Hey! <<
meinte sie erbost.

Da es aber schnell ging und sie eingeschränkt war in ihrer Bewegungsfähigkeit,
hatte es keinen großen Einfluss.

Raphael hielt sich mit derartigen Bekundungen zurück.

Es konnte auch ein langsam wirkendes Gift sein.
Und selbst wenn nicht - die Wunde war nicht gerade
harmlos.



"Hi!", antwortete Adeline breit grinsend und verfrachtete
Rita dann auf ein Sofa.

"Schön sitzenbleiben!", forderte sie sie in einem singenden
Tonfall auf, während sie an einen kleinen Schrank an der
Wand trat.

>> Wollt ihr zwei nicht besser schlafen gehen?

Ich halte hier mit Vi die Stellung und warte auf einen Anruf von
Rita. <<
schlug Felicia vor.

Vi wollte Felicia schon für ihre Annahme, dass Vi einfach so aufbleiben
würde mit ihr, schelten.

Aber Felicia hatte Recht.
Vi war ohnehin nachtaktiv.


Rita drückte eine Hand an ihren Bauch und krallte sich mit einer Hand an die Rückenlehne des Sofas. Sie war absprungbereit.

Aber sie blieb sitzen, wenn auch unter geladener Spannung.

>> Du brauchst nichts tun.
Ich wollte nur anrufen! <<
meinte sie gehetzt.

Raphael blickte noch einmal zu Grace hinüber.

"Ja, das ist eine gute Idee..."




Da war Adeline auch wieder da und stellte eine recht umfassende
Box mit Erste-Hilfe-Material auf den Tisch.

"Den Krankenwagen?", fragte sie interessiert.

Grace nickte zustimmend.

>> Wo ihr Recht habt.
Informiert mich bitte, wenn etwas mit Rita ist. <<
bat sie dann noch.

>> Ich würde sagen, wir gehen schlafen, Raphael. <<

Felicia lächelte vergnügt.


Rita sah die Erste-Hilfe-Box an.

>> Zuhause. <<
war ihre benommene Antwort.

Dann war sie wieder da und sah Addy an.

>> Damit meine ich, dass ich die anderen Bellavia anrufen wollte, damit
sie sich keine Sorgen machen.

Raphael geht es gut! <<
versicherte Rita ihr sofort.


>> Das mit der ersten Hilfe ist wirklich nett von dir.
Aber ich lehne ab. <<

Raphael stand auf.

"Bis morgen also", wandte er sich an die anderen.




Adeline drückte sie fest in das Sofa, bevor sie daran
denken konnte, aufzustehen.

"Oh nein, ohne Behandlung kommst du hier nicht raus!
Also, wo bist du verletzt?"

>> Bis morgen! <<
antworteten Vi und Felicia ihm.

Grace stand ebenfalls auf und hob eine Hand.

>> Gute Nacht! <<



Rita warf ihr einen bösen Blick zu.
Oder besser gesagt erst der Hand, die sie gegen das Sofa drückt und dann
der Handführerin.

Dann sah sie an sich runter.

>> Das ist schwer zu erkennen.
Hör mal, ich bin völlig zugekleistert mit ...ach, ich weiß nicht, was alles!
Dein Sofa sollte es nicht abkriegen. <<
murrte sie.

Raphael wartete noch auf Grace.

Er würde aufpassen, ob sie den Weg zu ihrem Zimmer überstand.



Adeline zuckte die Schultern.

"Das hat schon einiges überstanden - ein bisschen Blut macht da nichts!",
meinte sie selbstsicher.

"Und jetzt lass sehen!"

Grace grinste ihn an.

>> Hast du Angst, alleine in die Dunkelheit zu gehen? <<
fragte sie amüsiert.

>> Deine große Schwester ist ja schon da. <<

Sie wusste genau, warum er wartete.
Aber das musste auch unbedingt raus.



Rita sah stur zur Seite und spannte sich wieder an.

>> Das war ein bisschen blöd gelaufen.

Kann ich nicht einfach Grace anrufen? Dann gehe ich wieder.

Ich will dich nicht stören. <<

Raphael grinste.

"Wenn du eine Schwester wie Addy hättest, würdest du auch
nicht freiwillig alleine in die Dunkelheit gehen", bemerkte er.




"Es stört mich aber sehr, wenn du jetzt verletzt wieder gehst.
Also zieh dich aus!"

Adeline grinste noch immer fröhlich.

Grace lächelte amüsiert und ging los.

>> Wenn sie neben dir steht oder in der Dunkelheit wartet? <<



Rita sah sie kurz erschrocken an.

>> Nein! <<
war ihre Automatikreaktion.

Sie sah Addy wieder trotzig an.

Dann überlegte sie.

>> Na gut. Die... zwei größten zeige ich dir. <<

Sie zog vorsichtig mit einem Arm ihre Jacke aus.

Raphael blickte sie für einen Moment nachdenklich an.

"Beides", erklärte er dann und ging neben ihr her.




"Guter Anfang", stellte Adeline fest.

Grace lächelte amüsiert.

>> Das klingt nach einer aufregenden Kindheit!
Addy wirkte sehr nett. Wenn auch etwas durchtrieben.

Aber sie ist bestimmt eine großartige Schwester. <<



Rita schob sich unwohl auf dem Sofa rum.

>> Kann ich kurz in dein Badezimmer?

Ich fühle mich nicht wohl mit all dem ... Schmutz auf meinem Gesicht. <<

Raphael lächelte.

"Ja, das ist sie", bestätigte er.




"Weißt du was..."

Für einen Moment wirkte Adeline so, als würde sie überlegen.

"Das ist eine großartige Idee!", stellte sie dann fest, schnappte
sich die Box und zog Rita vom Sofa und in Richtung Bad.

Während sie langsam die Treppe hochgingen, stellte Grace ihm eine
weitere Frage.

>> Wie kam es eigentlich dazu, dass ihr ohne Eltern lebt und
Adeline sich alleine um dich kümmert? <<



Rita keuchte auf und schleifte hinter ihr her.

Dabei machte sie seltsame gequälte Laute.

Was hatte diese Frau schonwieder vor?!

Es reizte Rita, dass sie Adelines Handlungen nie voraussehen konnte!
Sie versuchte jetzt einfach, ihre Haltung zu wahren.

>> Ich kann auch alleine in das Bad. <<

Raphael blickte sie überrascht an.

"Wie kommst du denn darauf?
Unsere Eltern sind nur für einige Monate unterwegs,
das ist alles."

Er grinste erneut.

"Außerdem kann ich auch für mich selbst sorgen."




"Ja, aber den Dreck wirst du nicht los, ohne dir mehr
wehzutun", hielt Adeline fröhlich dagegen und zog sie
weiter hinter sich her.

>> Oh. Achso!

Ich hatte schon gedacht, ihr beiden habt ganz allein gelebt.

Entschuldige. <<
meinte Grace leise lachend.

>> Und natürlich glaube ich dir, dass du selbst auf dich aufpassen kannst.

Das hast du mir heute bewiesen.
Naja, also in dem Sinne, wie du gedacht hast. <<
meinte sie amüsiert.


Rita seufzte und folgte ihr, so gut es ging.

>> Na gut.
Aber komm' auf keine seltsamen Einfälle! <<
warnte sie.

>> Ich kann immernoch zuschlagen! <<

Raphael blickte sie amüsiert an.

"Wenn du es so nennen willst, werde ich dich bestimmt
nicht verbessern", drückte er es mal so aus.




"Sicher, sicher."

Adeline wirkte nicht überzeugt davon.

>> Sagen wir, du hast meine Anerkennung. <<
meinte sie leise lachend.

>> Meine Wortgewandheit nimmt abends ab!
Und gerade nach so einem Abend umso mehr. <<

Sie kamen in den Gang.

>> Sag mal, Raphael.

Was willst du irgendwann einmal werden? <<



Rita sah sie kurz vorwurfsvoll an.

Adeline war wirklich sehr überzeugt von ihrer eigenen Stärke.
Dachte sie etwa, Rita könnte ihr nicht die Stirn bieten?

Innerlich schüttelte sie den Kopf.
Wenn du wüsstest...

Doch sie schob den Gedanken beiseite und stellte sich an das Becken,
als sie im Bad ankamen.


>> Sei dir nicht so sicher! <<
ermahnte Rita sie noch einmal.

Raphael zuckte die Schultern.

"So genau weiß ich das noch nicht.
Und selbst, wenn ich Pläne gehabt hätte -
diese Sache hier hätte die wohl ziemlich über
den Haufen geworfen, nicht wahr?"




"Ach, kannst du doch nicht zuschlagen?",
fragte Adeline überrascht.

Grace musterte ihn schweigend und bedauernd.

Dann schüttelte sie den Kopf.

>> Nein, bitte denke nicht so.

Es ist wichtig, für seine Ziele und Träume zu kämpfen.

Ich sehe immer noch eine Zukunft vor uns, die wir uns aktiv gestalten können.

Man nennt uns nicht umsonst Bellavia. <<
meinte sie mit einem überzeugten Lächeln.

>> Ja, es gibt Hindernisse und Feinde.
Aber ich bin entschlossen, mich ihnen entgegenzustellen mit all
meiner Kraft.
Und für das zu kämpfen, was mir wichtig ist.

Deshalb will ich nicht, dass du die Hoffnung aufgibst.
Es wird hart, ich weiß. Ich hoffe jeden Tag, dass uns das Härteste nicht einfach
eines Tages treffen wird. <<

Sie blieb vor ihrem Zimmer stehen und lehnte sich gegen die Wand.

>> Viele haben den Kampf verloren. <<
gab sie zu und sah nachdenklich.

>> Wir haben einige Bellavia sterben sehen.
Wegen Verrat oder teuflischer Intrigen und Taktiken.
Oder einfach, weil der Feind manchmal zu stark war. <<



Rita seufzte.
>> Nein, das habe ich nicht gemeint.
Du bist dir zu selbstsicher, meine Liebe. <<
meinte sie und lehnte sich etwas gegen das Becken.

Es ärgerte sie, dass sie sich ständig vor Addy rechtfertigen musste.
Beziehungsweise, dass Addy es ständig schaffte, sie in die Defensive zu treiben.

Sie musterte Addy kurz, dann sah sie wieder bockig zur Seite und drehte sich
zum Waschbecken.

Wortlos drehte sie das Wasser auf und wusch sich das Gesicht.
Es tat gut, wieder etwas Kaltes und Frisches zu spüren.

Während ihrer Rede hatte Raphael überrascht gelauscht.

Als sie endete, wusste er nicht, was er dazu noch sagen sollte.

Er trat auf sie zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter.




Adeline grinste sie durch den Spiegel über dem Waschbecken
frech an.

"Man ist nicht zu selbstsicher, wenn man wirklich so gut ist,
meine Liebe."

Grace lächelte ihn warmhezig an und legte sanft eine Hand auf die seine.

>> Ich freue mich darüber, dass du diesen Weg mit uns gehst. <<

Sie sah ihm lange in die Augen.

Dann ließ sie ihre Hand wieder sinken und lachte leise auf.

>> Ich schätze, jetzt sollten wir wirklich schlafen. <<


Rita strich sich den letzten Rest Dreck aus dem Gesicht und erwiderte
Adelines Blick über den Spiegel.

Kurz sah sie auf Adelines Arme und dann auf ihren Bauch.

Sie hatte gespürt, wie stark Adeline war.
Auch, wenn sich alles in ihr sträubte, bezweifelte sie Adelines Aussage nicht.


Ihr Blick wurde neugierig.

>> Was machst du beruflich, Adeline?
Bist du Sportlerin? <<

Sie wusch ihre linke Hand mit der rechten, konzentrierte sich aber
auf Adelines Gesichtsausdruck.

Raphael grinste mit ihr.

"Ja, da hast du wohl Recht", stimmte er ihr zu.




Adeline grinste sie weiterhin an.

"Nein, ich trainiere einfach nur so. Wieso?
Gefällt dir, was du siehst?"

Grace zwinkerte ihm zu.

>> Gute Nacht und friedliche Träume. <<

Dann verschwand sie nach einem kurzen Blick auf ihn in ihrem Zimmer.



Rita sah den Wasserstrahl entschlossen an.

Entschlossen, nicht zu antworten auf diese Frage.

Sie drehte das Wasser ab und drehte sich zu Adeline.

>> Das hat nichts damit zu tun.
Kann ich jetzt anrufen? <<

"Gute Nacht", antwortete Raphael und ging ebenfalls in sein Zimmer.

An den heutigen Tag würde er sich noch lange erinnern.



"Wundversorgung!", erinnerte Adeline sie fröhlich.
So leicht würde sie sie hier nicht weglassen!

Rita seufzte.

>> Na gut. <<

Sie zog ihre Jacke aus, sodass sie nur ihr Top anhatte.

Man sah die große Schnittwunde an ihrer linken Schulter sofort.

Sie hatte eine rote Blutspur auf der gesamten Schulter gemacht.

>> Das ist Wunde Nummer Eins. <<

"Setz dich hin", forderte Adeline sie sofort auf und griff zuerst
nach einem Waschlappen.

Sie musste immerhin sehen, womit sie es zu tun hatte.