Das gute/helle Viertel

Rita setzte sich auf die Toilette und beobachtete Adeline.

Es war interessant, zu sehen, ob Adelines Verhalten sich in anderen
Situationen veränderte.

Ihre Energie zumindest veränderte sich nicht.

Fröhlich, aber auch überraschend vorsichtig,
säuberte sie die Wunde.

Rita ließ es schweigend über sich ergehen.

Und war insgeheim überrascht über Adelines Geschick.

"Also, was ist passiert?",
fragte Adeline, während sie die Wunde weiter versorgte.

Es musste schon ein ziemlich interessantes Ereignis gewesen
sein, wenn Rita eine derartige Wunde mitgenommen hatte.
Und noch nicht allzu lange her.

Rita fixierte ihren Blick auf Adelines Hose, da sie sowieso in ihrem
gesenkten Blickwinkel lag.


>> Ich hatte einen Streit mit jemandem.
Es ist außer Kontrolle geraten und wurde handgreiflich.

Im nächsten Moment landete ich an der Wand, an der ein
Kleiderhaken montiert war.

Der dringend eine Erneuerung braucht. <<
erzählte sie ruhig und verzog die Mundwinkel.

So gesehen stimmte es ja.

Adeline nickte.

"Das war wirklich ein aggressiver Kleiderhaken!"

Sie glaubte Rita kein Wort.

>> Eher eine agressive Gegenperson.

Mit genug Kraft kann ein Löffel dich das Leben kosten. <<
meinte Rita und legte den Kopf schräg.

Adeline zuckte die Schultern.

"Weißt du, solange es ein Gegenstand ist, der dich umbringt,
kann ich es ja noch verstehen...es wird erst seltsam, wenn
man von etwas stirbt, was gar nicht da ist."

Rita hob eine Augenbraue und sah zu ihr hoch.

>> Wie meinst du das? <<
fühlte sie ihr etwas auf den Zahn.


Diese Frau schien sich damit zu beglücken, mit ihr zu spielen.
Rita wusste genau, dass sie nicht wissen konnte, woran sie bei Adeline war.

Adeline zuckte die Schultern und bearbeitete die Wunde weiter.

"Na ja, wenn keine Luft da ist, stirbst du trotzdem."

Rita zuckte kurz zusammen.


>> Ja, da hast du Recht.

Elendig ist es, wenn etwas da ist, was dir genau das wegnimmt,
was nicht da ist.

Wie ein Bonbon. <<
erzählte sie munter.

"Ach ja, Bonbons sind toll, nicht wahr?",
fragte Adeline.

"Ich hab's! Was hältst du davon, wenn ich deine
Haare färbe wie ein Regenbogenbonbon?"

Rita keuchte erschrocken auf und wäre beinahe vehement
aufgesprungen.

Stattdessen knallte sie mit dem Kopf gegen die Wand hinter ihr.

>> Au... <<
sie rieb sich den Hinterkopf.

>> Das kannst du vergessen, du Kindskopf.

Ich würde gerne unauffällig bleiben!

Ein Bonbon lebt nicht lange in dieser Welt. <<

Sie keuchte unter Schmerzen auf.
Jetzt hatte sie auch noch ihre Beine zum Absprung angespannt.
Und dafür zahlte sie nun den Tribut.

Diese Frau war doch völlig verrückt!

"Sitzen bleiben", tadelte Adeline sie.
"Wenn du es nicht willst, dann schlag es nicht vor!"

Sie klopfte ihr auf die Schulter, jedoch nicht auf die
Verletzung.

"So, fertig. Wo bist du noch verletzt und nicht zu
stolz für Hilfe?"

Adeline grinste breit.
Das hier machte Spaß!

Rita sah sie kurz angenervt an.

Ja, das machte ihr Spaß...


Dann sah sie auf ihre Beine und überlegte.

>> Hatte ich etwas von einer zweiten Wunde gesagt? <<

"Du hast gesagt, dass du mir die zwei größten zeigst",
bestätigte Adeline.

"Aber wenn du schon dabei bist, kannst du mir ruhig
auch den Rest zeigen."

Rita seufzte und deutete auf ihren rechten Oberschenkel.

>> Dort ist die Stelle.
Aber dazu brauche ich einfach nur etwas zum Zudrücken.

Das ist alles. Ist nicht so schlimm. <<
meinte sie entspannt.

Adeline grinste breit und zog eine Schere aus ihrem Erste-Hilfe-Set.

"Zeig her, oder ich mache Platz."

Rita sah langsam von der Schere zu ihrer Hose und wieder zurück.

Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

Sofort packte sie schützend die Hände über ihre Hose.

>> Nein, ich liebe diese Hose! <<
jammerte sie.

Schnell räusperte sie sich und hüstelte.

Mit einem ernsten rita-typischen Gesicht sah sie zurück zu Adeline.

>> Eigentlich habe ich einer Kuh bei der Geburt geholfen.
Ist etwas blöd gelaufen.

Ich müsste nur anrufen. <<

"Hose aus oder du hast sie geliebt",
blieb Adeline stur und lächelte herzallerliebst.

Nie im Leben würde sie sie jetzt noch weggehen lassen.

"Und warum hat dich dann jemand gegen einen Kleiderhaken geschubst?"

Rita sah sie wieder mit einem bösen Blick an.

Dann schloss sie die Augen.

>> Es war einfach eine blöde Kuh. <<
meinte sie seufzend und legte ihre Hand an den Hosenknopf.


Rita schien innerlich schwer nachzudenken.
Während des inneren Monologes verdrehte sie einmal angenervt die Augen
und stand auf.

Widerwillig zog sie sich langsam die Hose runter.

Anfangs war noch alles völlig normal.
Helle, glatte Haut.

Doch dann wurde sie rot.

Rita sah auf die runde Wunde, aus der immer noch Blut trat und
ihr rechtes Bein hinab floss.

Das wirst du büßen.

Dann fiel ihr wieder ein, wo sie war.

Und jetzt missfiel es ihr umso mehr.

Für einen Moment war Adeline überrascht. In was für eine Situation
war Rita da hineingeraten, und wieso hatte sie nichts davon erfahren?
Ein einfacher Banditenüberfall war es sicherlich nicht gewesen...

"Hatte die Kuh also wirklich einen Waffenschein", sagte sie, nachdem
sie sich schnell wieder gefangen hatte, und machte sich daran, die
Wunde zu versorgen.
Mit mehr Erfahrung, als eine normale Person mit dieser Art von Wunden
haben sollte.

Rita strich sich durch das Haar und beobachtete Addy überrascht dabei.

Sie war wirklich geübt darin.

Der Schmerz war dennoch nervig.

Zum Glück hatte die Kugel von hinten nach vorne durchgeschossen und keine
wichtige Arterie getroffen.
Das hätte sie nicht überlebt.

Wie gut, dass besagte blöde Kuh nicht mit Ritas Waffe zielen konnte.

>> Sie hat keinen Waffenschein.
Deshalb sieht mein Bein so aus. <<
meinte sie mit einem Schulterzucken.

Adeline pausierte für einen Moment und begutachtete die Wunde dann.

"Ich weiß nicht - immerhin hat sie getroffen", stellte sie dann fest und
machte weiter mit ihrer Versorgung.

Rita sah zu Adeline runter.

>> Ja, das hat sie... <<
stimmte sie zu.

Aber zum Glück konnte sie nicht noch besser zielen.

Adelines Bewegungen lenkten sie jedoch davon ab, weiter
darüber nachzudenken.

"Nicht schlecht für einen Anfänger"
kommentierte Adeline und richtete sich wieder auf.

"So, fertig. Was ist mit dem Rest?"

Rita lächelte.

>> Danke.
Das war alles. <<
versicherte sie ihr.

>> Du bist wirklich geschickt im Verbinden.
Nimmst du regelmäßig an Kursen teil? <<
fragte sie neugierig.

Sie wusste so wenig über Adeline.

Adeline zuckte die Schultern.

"Ich hab einmal einen gemacht", antwortete sie.
"Ist gar nicht so schwer.
Und bist du dir ganz sicher? Zieh dich mal aus!"

Sie grinste.

Rita zuckte zusammen.

>> Was? <<

Sie zischte.

>> Nein!
Bestimmt nicht! <<

Sie wich etwas zurück.

>> He. Das reicht jetzt wirklich.
Ich will nur noch anrufen. Dann störe ich dich nicht.

Dadrunter ist nichts! <<
meinte sie aufbrausend.

"Wirklich nicht? Ich will sehen!"

Adeline bestand darauf.