Das gute/helle Viertel

"Danke."

Er nippte am Tee, um herauszufinden, ob er ihn
bereits trinken konnte.

Felicia beobachtete ihn.


Wie konnte es sein, dass er sie mit jeder Bewegung anzog?
Sie seufzte in sich hinein.

Zwar war sie bekannt dafür, dass sie sich gerne viel Spaß gönnte.
Aber sie durfte Raphael nicht überfordern, auch wenn sie ständig
dieses Verlangen in den Fingern hatte, wenn sie ihn sah.

Sie blickte zu den anderen, um sich abzulenken.

Ihr Blick fiel auf Grace, die wieder herzhaft über etwas lachte,
das Vi gemurmelt hatte.

Ob ich die beiden verkuppeln könnte? Ah, was denkst du nur wieder
für Mist?! ermahnte sie sich.

Raphael bemerkte den Blick, obwohl er es nicht zeigte.

Während er vorsichtig seinen noch immer ziemlich warmen,
aber nicht zu heißen Tee trank, legte er den Blick geistig in
eine Ecke, in der sich bereits ähnliche Beobachtungen befanden.

Das sollte er besser im Auge behalten.

Rita stieß sich wieder von der Theke ab.

>> Ich gehe weiterschlafen.
Macht keinen Mist.

Ach nein: Felicia, mach keinen Mist.
Geh schlafen. Allein! <<
warnte sie.

Sie schien wohl eine ählich gute Beobachtungsgabe zu haben
wie Raphael.

Felicia warf ihr einen bösen Blick zu.
Ohne einen weiteren Kommentar schritt sie aus der Küche.

>> Schlaf gut! <<
rief Grace ihr noch nach.

>> Hach, sie ist so anders, seit Addy sie regelmäßig besucht. <<
murmelte Grace.

>> Das tut ihr ganz gut so.
Irgendwer muss diese verkorkste Göre kräftig durchschütteln. <<
meinte Felicia mit einem Schulterzucken.

Vielleicht ging Addy etwas drastisch dabei vor, aber ihr war es nur Recht,
solange Rita dadurch keine Zeit mehr hatte, ihre Agressionen an der Gruppe auszulassen.

"Zum Durchschütteln ist Addy wirklich perfekt geeignet",
stimmte Raphael ihnen zu.

"Wie war sie denn, bevor wir aufgetaucht sind?"

>> Herrisch. <<
meinte Grace.

>> Ein absoluter Kontrollfreak. Agressiv, eigensinnig.
Hartnäckig ist sie auch noch. <<
fuhr Felicia fort.

>> Wir sind noch garnicht fertig! <<

"..und ihr meint, sie hat sich sehr verändert?",
fragte Raphael zweifelnd.

Diese Eigenschaften schienen noch immer auf
Rita zuzutreffen. Vielleicht lag es ja auch an ihm,
aber...

Grace lächelte.

>> Sagen wir, es ist deutlich abgemildert.
Du hättest sie vorher erleben müssen. <<

>> Mm! Sie und Grace hatten sich immer in den Haaren.
Manchmal, da konnte Rita richtig handgreiflich werden und
das obwohl Grace ihre eigene Cousine ist. <<

>> Naja, so schlimm war das jetzt auch nicht.
Sie versucht nur, mich einzuschüchtern, damit ich
endlich die Klappe halte und nicht ständig ihre Führung
kritisiere. <<

"So gesehen..."

Raphael dachte noch einmal an Ritas im Vergleich
dazu schon ruhiges Verhalten.

"Dann habt ihr wohl Recht."

Grace nickte.

>> Du wirst es sehen, wenn du ein bisschen länger bei uns
sein wirst.
Dann wirst du uns alle etwas kennenlernen.

Der erste Eindruck muss ja nicht immer richtig sein. <<
meinte sie mit einem Zwinkern.

Raphael lachte leise.

"Das stimmt allerdings."

Allmählich wurden es immer weniger.

Bis nurnoch Felicia und Raphael in der Küche waren.

Felicia war es anscheinend leicht unangenehm.

Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und starrte Löcher in den Kühlschrank
und die Schränke.

Raphael hob die Augenbrauen.
Felicia benahm sich ungewöhnlich, oder wirkte
es auf ihn nur so?

"Ist bei dir alles in Ordnung?", fragte er sie.

Felicia sah ganz kurz zu ihm.

>> Ja ja, alles in Ordnung, Raphi! <<

Sie blickte sich wieder um und legte sich beinahe mit dem ganzen
Oberkörper auf die Theke, die eine Hand am Kopf und die andere
lag ruhig da.

Sie schwieg kurz.

>> Naja. Eigentlich nicht.

Also, ich bin etwas angetrunken, muss ich sagen.
Und dann kommen immer die dummen Gefühle, die man so im Alltag
versteckt, weißt du? <<

Sie blickte ihn dabei nicht an.
Zum ersten Mal wirkte Felicia wie ein kleines, verlorenes Mädchen,
das sich schämte.

Sie setzte sich auf. Anscheinend kämpfte sie mit sich.

>> Es.. <<

Sie sah auf ihre Hände und dann zu Raphael.

>> Es tut mir leid, dass wir beide etwas auf dem falschen Fuß angefangen haben.
Was da zwischen uns passiert ist, das war meine Schuld.
Ich will nicht, dass das unsere Freundschaft gefährdet. <<

Im ersten Moment war Raphael zu überrascht
von dieser Antwort, doch dann beeilte er sich,
Felicia zu versichern:
"Natürlich gefährdet das unsere Freundschaft
nicht, keine Angst.
Und es...war auch nicht wirklich deine Schuld.
Zu so etwas gehören immerhin immer zwei."

>> Ja, stimmt.

Du bist aber auch so gutaussehend.

Ich konnte einfach nicht widerstehen. <<
meinte Felicia mit einem schiefen Lächeln.

Raphael erwiderte das Lächeln.

"Das Kompliment kann ich nur zurückgeben",
meinte er.

"Ich glaube nicht, dass dir irgendjemand
widerstehen kann."

Felicia lachte leise.

>> Oh doch. Manche können es, weil sie mich für eine bestimmte
Art von Persönlichkeit halten, mit der ich leicht verwechselt werde.

Aber wir sollten nicht zu tief in das Thema Verführung eindringen, weil
ich dir sonst für nichts garantieren kann.
Ich bin angetrunken. <<
warnte sie mit einem Lächeln.

Für sie war das Erklärung genug.

Raphael zuckte mit den Schultern.

"Eine gute Idee. Meinst du nicht, dass es
dann wohl besser wäre, ins Bett zu gehen?"

Felicia zuckte zusammen.

>> Oh, das konnte man gerade falsch verstehen.

Ich würde gerne mit DIR in EIN Bett gehen. <<

Sie seufzte und versuchte, sich zusammenzureißen.

>> Du machst es mir so schwer.
Das wird eine harte Zeit. <<

Sie war wieder rot im Gesicht geworden.

Raphael grinste.

"Wie wäre es dann damit...wir beide gehen in
unsere getrennten Zimmer, legen uns in
unsere getrennten Betten und schlafen dann
ohne einen Gedanken an den anderen ein
und erholen uns ohne Verzögerung von diesem
Tag?"

Felicia lächelte, während sie seiner eindeutigen Erklärung lauschte.

>> Natürlich machen wir das so.

Aber wir sollten uns erstmal überlegen, ob wir Amilia und den kleinen
Drachen einfach so im Wohnzimmer liegen lassen. <<

"Stellen wir die Frage einmal anders herum",
schlug Raphael vor.

"Willst du die beiden wirklich wecken? Es sieht
ziemlich bequem aus."

Abgesehen von der Position des Drachens...
doch es war ein Drache. Vielleicht mochten die
so etwas.

Felicia überlegte kurz.

>> Ja, wir lassen sie ersteinmal schlafen. <<
stimmte sie ihm dann zu.

Raphael lächelte und stand langsam auf.

"Dann sehen wir uns also morgen...oder
auch schon heute", verbesserte er sich
nach einem Blick auf die Uhr.

"Gute Nacht!"

>> Gute Nacht! <<

Felicia blieb sitzen.

Raphael hingegen machte sich auf den Weg
in sein Bett.

Rita lag quer über einem Sessel im Wohnzimmer und ließ einen erschöpften
Seufzer raus, als sie den Kopf in den Nacken legte und an die Decke starrte.

Was für eine Woche.

Grace saß auf dem Sofa und löste gerade ein Kreuzworträtsel.
Amüsiert blickte sie Rita über den Rand der Zeitschrift an.

>> Wieso bist du so fertig, Ritelchen? <<
fragte sie in zuckersüßer Stimme.

Rita winkte in einer halbherzigen Bewegung ab und schloss die Augen.

>> Ich muss nur wieder Energie aufnehmen, damit ich das ganze Chaos
wieder in Ordnung bringen kann. <<

Grace lächelte und tippte sich mit dem Stift gegen die Wange.

>> Weißt du, Rita. Vielleicht tut es dir auch mal gut, wenn du etwas nachgibst. <<

Nun war es an Rita, amüsiert zu lächeln.

>> Na, ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee ist.
Du weißt, dass ich nicht gut mit Kontrollverlusten klarkomme. <<

Grace lachte vergnügt.
>> Wie gut, dass Amilia so gerne kocht. Das letzte Mal, als du versucht hast,
diesen berüchtigten Eintopf zu kochen! War das ein Festmahl! Für meine Lachnerven. <<

Rita stöhnte gequält auf.
>> Erinnere mich nicht daran. <<

>> Oh mein Gott! Dieses Ding mutiert! Es schäumt über den

Boden! <<
ahmte Grace Ritas Reaktion bei dem Ereignis nach und lachte sich schlapp.

Rita ließ sich erschlagen hängen.
>> Okay! Es kann eben nicht jeder der nächste Gourmetkoch werden! <<

>> Definitiv nicht, meine Liebe.
Sag mal: Eine Beschreibung, die auf einen hartnäckigen Störfaktor in der persönlichen Umgebung deutet? <<

>> Grace. <<
war Ritas sofortige Antwort.

Rita zog eine Grimasse.

>> Sehr lustig! Sechs Buchstaben. <<

Plötzlich klingelte Ritas Handy.

Verwirrt richtete sie sich auf.

Rita setzte sich seufzend wieder in eine richtige Position.

>> Sechs Buchstaben? Schreib A-d-e-l-i-n. <<

Grace grinste schelmisch.
>> Ohne "e" wie "ernsthaft angetan"? <<

Rita rollte angenervt die Augen und nahm ab.

Die Nummer auf dem Bildschirm was ihr gänzlich unbekannt.
Ein mulmiges Gefühl beschlich sie, als sie abnahm.

>> Hallo? <<

Anscheinend schnitt jemand Rita das Wort ab, denn sie blickte etwas verdutzt drein.
Dann erschien Erkenntnis in ihren Augen.

Sie war auf einmal wie ausgewechselt und ließ keine Emotionen auf ihrem Gesicht zu.

>> Taya. Wie hast du meine Telefonnummer bekommen? <<
fragte sie trocken.

Grace sah Rita überrascht an.

Rita lächelte unbeeindruckt.

>> Versuch es, Taya.
Und um welchen Fehler soll es sich bitte handeln? <<

Rita lauschte und runzelte die Stirn.

>> Hat man euch euer kleines Baby weggenommen?
Oh, bitte. Du weißt, dass das früher oder später passieren würde.
Nur die Stärksten überleben.
Aber ein Jammer, dass ich es nicht war. <<
meinte Rita mit einem Schulterzucken.

Rita schwieg kurz und runzelte nachdenklich die Stirn.

>> Taya, jetzt im Ernst.
Wir waren es nicht. Glaubst du, wir sind die Einzigen, die euch am Boden sehen
wollen?

Denk doch an die seltsamen Wesen, die einen unserer Kämpfe ziemlich schmerzhaft unterbrochen
haben.
Da ist noch jemand anderes im Spiel. <<

Rita hörte wieder zu und rieb sich dann die Schläfen.

Das war ihre unterschwellige "Wir haben ein ernstes Problem"-Geste.

Grace setzte sich alarmiert auf.

>> Wer auch immer das war, hat uns nicht mit einbezogen. <<

Sie lauschte wieder.

>> Woher bist du dir da so sicher? <<

>> Meine Handschrift, ja? Und du meinst also, ich wäre es diesesmal auch wieder.
Dann muss ich dich enttäuschen. Während du hier mit mir die Zeit verplemperst, schlitzen
sie deine kleine Georgia wahrscheinlich schon auf! <<
grollte Rita wütend.

Sie schwieg wieder, als Taya anscheinend zu einem Gegenschlag ansetzte.

Dann zuckte ihr Kopf etwas zurück.
Die Hand mit dem Handy sank runter.

Rita sah zu Grace.

>> Wir haben ein Problem. <<
seufzte sie.

Nach dem unerwarteten Telefonat war Rita wie ausgewechselt.

Sie saß angespannt auf dem Sofa und dachte rum.

Manchmal zuckte sie wieder in eine gerade Position, als hätte sie eine Eingebung,
um dann wieder den Kopf zu schütteln und zurückzusinken.


Grace stand im Türrahmen und beobachtete Rita dabei.

>> Rita, ahnst du, wer das war und wieso? <<
fragte sie dann die für sie eindeutigste Begründung für Ritas Verhalten.


Rita sah auf und wandte sich dann Grace zu.

>> Mein Problem ist eher, dass jemand versucht, unsere bisherigen psychischen
und manchmal physischen Streitereien mit der anderen Gruppe in einen ernsten
Kampf zu steigern. 
Nicht, dass es keine Gründe dafür gäbe, diese verdammten Ziegen dem Erdboden gleichzumachen, aber hier will uns jemand gegeneinander ausspielen.

Und das führt auch zu unserem Nachteil. <<
erklärte sie.

>> Ich weiß nur nicht genau, wer dahinter stecken könnte.
Er benutzt Georgias Entführung als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Taya wird darauf bestehen, dass wir es waren.

Und ich werde die Ahnung nicht los, dass eventuell einer von uns bald etwas Schlimmes
passieren wird, was dann auf Tayas Gruppe hindeuten wird.

Es sei denn.. <<

Grace stellte sich hin.

>> Es sei denn, wir halten diesen möglichen Teufelskreis auf und helfen den
anderen dabei, Georgia zu finden. <<

Rita verzog das Gesicht.

>> Grace, das... <<

>> Das ist vielleicht die einzige Möglichkeit, um die Katastrophe abzuwenden.

Ja, ich weiß, dass wir uns seit Jahren in den Haaren liegen wegen Tayas Gruppe.

Aber hier könnten wir beide profitieren.

Ich wäre zufrieden, wenn wir ihnen einen Schritt entgegenkommen und ihnen helfen,
Georgia zu finden.

Und du wärst zufrieden, weil wir unserem Widersacher einen Strich durch die Rechnung ziehen oder ihn sogar mit geballter Kraft erwischen.

Betrachte es als Bündnis zweier Feinde, um einen dritten zu zerstören. <<
meinte sie schulterzuckend.

Rita sah Grace nachdenklich an.

Sie wusste genau, dass Grace seit Jahren auf einen Frieden zwischen ihnen und Tayas
Gruppe zielte und ihr das sehr gelegen kam.

Rita überlegte.

Da fiel ihr etwas ein, dass ihr garnicht gefiel.
Es hätte sowieso so weit kommen müssen nach ihrem Fehler mit Phalen. 

>> Es könnte sein, dass ich weiß, wo wir suchen müssen. <<