Ilanai - die Heimat der Oni

Chikage folgte ihr und schwieg.

Sie schien es ja doch nicht zu verstehen.

Arisia ging schweigend weiter und starrte vor sich hin.

Das Einzige, das Chikage hören konnte, war ein Seufzen in ihrem Kopf.

Es war wieder einige Zeit vergangen, bis Arisia sich beruhigt hatte.

Tut mir leid, dass ich immer so launisch und explosiv bin.

Ich kann es nicht ändern. Es gehört irgendwie zu mir.
dachte sie sich.

Vielleicht hörte Chikage es, vielleicht auch nicht.
In beiden Fällen wäre sie damit einverstanden.

>> Sag mal, Chikage. <<

Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um.

Ihr Blick blieb an seinen Hörnern hängen.

>> Hast du es eigentlich gespürt? Als sie...
als sie dir das angetan haben? <<

Chikage zögerte und hob die Hand, bis sie beinahe
seine neuen Auswüchse berührten.

"Das hier?", fragte er plötzlich ein wenig zögernd.

Arisia bemerkte die plötzliche Änderung in seinem Verhalten und nickte
nun ebenfalls zögerlich.

Sie näherte sich einem sehr persönlichem und sensiblem Thema.

"Ja, ich habe es gespürt", teilte Chikage ihr langsam mit.

"Sie haben meinen Schädel genommen und den Knochen
umgeformt und durch die Haut stechen lassen.
Es hat wehgetan."

Arisias Augen weiteten sich geschockt.

Er hatte schreckliche Qualen erleiden müssen.

>> Mein Gott. <<

Ihr Kopf stellte sich gegen ihren Willen den armen Chikage auf dieser
Oberfläche vor, auf der sie ihn schließlich gefunden hatten.

Und unheimliche Gestalten, die um ihn herum standen und an ihm rumoperierten.

Ihr Herz und ihre Kehle zogen sich bei dieser Vorstellung zusammen.

Sie litt, wenn sie sein Leid in seinen Augen sah.

Es war unbeschreiblich.


Zaghaft ergriff sie seine Hand.

>> Es tut mir so leid. <<
wisperte sie.

Und zum ersten Mal spürte sie auch die wahre Bedeutung dieser Redewendung.

Sie litt mit. Bei dem bloßen Erwähnen dessen, was sie ihm angetan hatten.

Chikage blickte sie an und lächelte leicht.

"Die Schmerzen sind schwächer geworden",
versicherte er ihr.

Arisia blickte ihn dennoch besorgt an.

Wie konnte sie vorher nur so einfältig gewesen sein?

Sie seufzte. Krieg dich wieder ein...
ermahnte sie sich.


Sie erwiderte Chikages Lächeln etwas halbherzig.

>> Tut es weh, wenn du sie berührst?
Und, wenn du nichts tust, schmerzt es dich dann auch? <<

"Es wird besser", erklärte Chikage.
"Aber bitte berühre sie nicht."

Das hatte er einmal getan.
Einmal und nie wieder.

Arisia nickte und musterte die Hörner.

>> Wer waren diese Leute, die dir das angetan haben?
Dieselben, die auch für den Tod aller Altadel-Onimädchen verantwortlich sind? <<

Chikage nickte.

"Ja, wahrscheinlich. Sie wollten wissen, wo du bist -
und als ich es ihnen nicht gesagt habe, haben sie
mich als Versuchsobjekt benutzt."

Arisia sah ihn erschrocken an und musste unweigerlich schlucken.

>> Sie haben dich gefoltert, weil du mich beschützt hast? <<

Das hatte sie nicht gewusst!

Mein Gott! Und ich habe ihn mit  Verachtung gestraft.

Sie fühlte sich wirklich schlecht, jetzt, wo sie erfahren hatte, was
Chikage für sie auf sich genommen hatte.

Der wirkliche Ernst dieser Angelegenheit kam immer mehr ans Licht.
Und drang allmählich zu Arisia durch.

Sie konnte Chikage in diesem Moment einfach nicht in die Augen blicken.
Bestürzt sah sie zu Boden und ganz langsam wich die Farbe aus ihrem Gesicht.

"Ich konnte ihnen ja schlecht sagen, wo du bist."

Für Chikage war das ganz einfach.
Arisias Leben war bedroht, also musste er sie schützen.

Männer gab es immerhin genug.

Arisia wusste nicht, was sie sagen sollte.

Sie war mehr als beeindruckt und innerlich zutiefst berührt.

Auch, wenn er es vielleicht wieder als Pflicht gesehen hatte, sie zu beschützen,
so hatte es ihn doch mehr als persönlich getroffen, da er
Höllenqualen erlitten hatte.


Sie war ihm dankbar und ergriffen durch seine Aufopferung.

Doch sie wusste nicht, wie sie ihm zeigen konnte, dass sie nicht nur biestig war.

Ich schulde ihm viel. Sonst wäre ich jetzt tot.

Ihren letzten Gedanken hatte er anscheinend wieder
mitbekommen, denn nun sagte er:

"Ich konnte sie doch nicht schicken, um dich zu töten."

>> Du hättest es tun können, aber du hast es nicht.

Und aus meiner Sicht reicht allein dieser Unterschied schon aus,
damit ich sagen kann, dass du über eine Stärke verfügst, die ich
wirklich schätze. <<
meinte sie aufrichtig und sah ihn anerkennend an.

>> Sag mal. Hast du eigentlich noch andere Schäden davongetragen? <<
wollte sie dann wissen und musterte ihn wieder.

Er schien unglaublich standhaft und ausdauernd zu sein, dass eine solche
Folterung außer den Hörnern keinen anderen Schaden an ihm hinterlassen hatte.
Oder er war ein guter Schauspieler und ließ sich nichts anmerken.

Vielleicht sollte er sich dann doch lieber ausruhen.
Es ist nicht gerade einfach, einer Zicke wie mir hinterherzulaufen und
fertiggemacht zu werden, wenn man gerade eine Schädelumformung unter

höllischen Schmerzen durchgemacht hat.

überlegte sie.

Wahrscheinlich willst du dich nicht einmal hinlegen, oder?

Wenn du mitkommst,
war Chikages Antwort darauf.

Immerhin musste er auf sie aufpassen.

Und es sind zum Glück nur meine Augen,
meine Haare und die Hörner.

Arisia seufzte erleichtert auf.

Er hatte also keine Krämpfe, Übelkeiten oder sonstiges.
Tatsächlich entwickelte sich etwas in ihr, dass ihr selbst Krämpfe gab, wenn
sie nur daran dachte, dass er noch mehr leiden könnte.

>> Ja, ich komme mit. <<
versprach sie.

Chikage lächelte ihr zu.

Sie machten sich auf den Weg zum Schlafzimmer.

Arisia folgte ihm und überlegte immernoch, ob sie ihm soetwas
wie Tee, eine warme Einlage oder vielleicht doch besser etwas Kühleres
bringen sollte.

Sie dachte noch darüber nach, wie sehr sie in solchen Dingen versagte,
während sie ihm die Tür zum Schlafzimmer öffnete.

Dann erblickte sie das Bett und war wieder da.

>> Oh. <<
war alles, was sie rausbrachte.

Erinnerungen an den Liebesakt mit Chikage fluteten bei dem Anblick des Ehebettes
kurz Arisias Kopf und ließen sie erröten.

Doch dann brachte sie diese Wallung wieder unter Kontrolle.

Chikage muss sich ausruhen. Leg ihn einfach auf das Bett und setz dich auf einen Stuhl daneben.
erinnerte sie sich.

>> Leg dich einfach hin. Willst du etwas? Vielleicht einen Tee? <<
fragte sie, während sie nach irgendwelchen Anzeichen in seinem Gesicht suchte.

Ihr Blick blieb natürlich wieder an seinen Hörnern hängen.
Sie konnte nichts dagegen tun.

Dann blickte sie ihm entschieden in die Augen.

Doch da sich die feindliche Organisation auch seinen Augen
zugewandt hatte, blickten ihr halb zusammengekniffene,
gelbumrahmte Schlitzpupillen entgegen.

"Ein bisschen mehr Dunkelheit wäre schön", kommentierte
Chikage - im Schlafzimmer war es wesentlich heller als auf
dem Flur.

Arisia wurde kurz von diesen seltsamen Augen eingesogen.

Sie hatte ihm noch nie so lange in die Augen geblickt.

Die Veränderung war unglaublich. Wie ein Faustschlag ins Gesicht.

In ihrer Erinnerung suchte sie nach Chikages Augen vor der Entführung.

Da waren sie. Und ihr Blitz, der ihn zu Boden beförderte.

Arisia schüttelte sich kurz.

>> Das Licht. Ja, natürlich. <<
murmelte sie und schaltete das Licht aus.

Seltsamerweise konnte sie die Augen nicht von Chikage abwenden.

Seine Haare, seine Augen und diese Hörner.
Das war eine Veränderung, die sie jetzt zusammenfasste.

Sie nahm seinen gesamten Körper in ihren Blick, so gut sie das in der Dunkleheit
konnte, um nach weiteren Veränderungen zu suchen.

Wie will ich nach Veränderungen suchen, wenn ich ihn nie richtig gesehen habe?
ermahnte sie sich angenervt.

>> Also. Das Bett wartet. <<
erinnerte sie ihn.

Nun, da er nicht mehr geblendet war, schritt
Chikage auf das Bett zu.

Währenddessen hatte er wieder einmal in Arisias
Gedanken gespäht.

Vielleicht sollte ich anfangen, mehr auf ihn zu
achten - immerhin muss ich jetzt wohl einige Zeit
mit ihm verbringen, pflanzte er ihr vorsichtig,
um nicht bemerkt zu werden, den Gedanken ein.

Arisia schluckte den Gedanken und sah ihn aufmerksam an.

Dann setzte sie sich mit dem neuen (eingepflanzten) Ziel,
sich mehr um ihn zu kümmern neben ihn an das Bett.

Chikage streckte eine Hand aus und ergriff ihre vorsichtig.

Er musste bei ihr wohl wirklich klein anfangen.

Arisias Hand schien kurz zurückzucken zu wollen, doch dann ließ
sie ihre Hand etwas verwundert in seiner.


Sie war es wirklich nicht gewohnt, wenn ihr ein männliches Wesen,
und schon gerade Chikage, sich auf eine so zärtliche Schiene näherte.

Mit Zärtlichkeiten hatte Arisia sowieso ihre Probleme.
Für sie war es wie ein Zeichen von Schwäche und Kontrollverlust.

Umso schwerer fiel es ihr jetzt, ihre Hand in Chikages zu lassen.

Chikage lächelte sie an - seine Aussehensveränderung
hatte glücklicherweise keine spitzen Zähne beinhaltet -
und schloss dann die Augen.

Arisia konnte nicht anders als das Lächeln zu erwidern.

Schweigend musterte sie sein Gesicht.

Es war wirklich seltsam, was hier alles geschah.

Chikage schlief jedoch nicht, sondern behielt Arisias
Gedanken im Auge.

Immerhin wollte er lernen, was in ihr vor sich ging.